»Je präsenter Muslime sind, desto mehr Platz nehmen sie Nazis weg«

Nasir Ahmad will den Begriff »Islamisierung« positiv besetzen: Er soll dafür stehen, dass Muslime in der deutschen Gesellschaft, in Medien und Politik aufsteigen

  • Fabian Goldmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Ich habe überlegt, Sie im Einleitungstext für dieses Interview als »Twitter-Provokateur« zu bezeichnen. Wären Sie damit einverstanden gewesen?

Ansichtssache. Aus der Sicht von Rassisten, Rechtsradikalen, Islamhassern und allen weiteren, die sich durch meine klare Haltung zum Grundgesetz, meinen Glauben und meine Überzeugungen als deutscher Muslim, Antirassist und Antifaschist angegriffen fühlen, mag ich ein »Twitter-Provokateur« sein. Aus meiner Sicht und aus der Sicht vieler anderer Menschen bin ich eine laute Stimme mit einer klaren und deutlichen Positionierung mit dem Ziel, konstruktive Debatten anzustoßen sowie Missstände aufzuzeigen.

Manchmal machen Sie es Ihren Gegnern aber auch sehr einfach. Zum Beispiel, als Sie zur Islamisierung gegen Nazis aufriefen. Meinten Sie das ernst?

Der genaue Wortlaut meines Tweets war »Islamisierung des Landes bedeutet Entnazifizierung des Landes.« Dazu muss man wissen: »Islamisierung« ist ein völlig inhaltsloser Begriff, der von Rechtsradikalen und der AfD besetzt wurde. In der islamischen Terminologie gibt es diesen Begriff nicht. Ich wollte den Begriff wieder positiv besetzen: Islamisierung bedeutet für mich, dass Muslime in der deutschen Gesellschaft, in Medien und Politik aufsteigen. Je präsenter Muslime sind, desto mehr Platz nehmen sie Nazis weg. Das war mein Gedanke dabei.

Nicht nur die AfD bekommt es auf Twitter mit Ihnen zu tun. Als die Sendung »Maischberger« Anfang Juni ausschließlich weiße Gäste zum Thema Rassismus einlud, starteten Sie eine Petition, die bis heute von fast 35 000 Menschen unterschrieben wurde. Wie kam es dazu?

Die Kampagnenplattform change.org hat mich angesprochen, ob ich nicht Lust hätte eine Petition zu starten. In der forderte ich dann, sämtliche weiße Gäste auszuladen und nur solche Gäste einzuladen, die selbst von Rassismus betroffen sind und deshalb besser Auskunft über das Thema geben können. Die Resonanz auf die Petition hat mich selbst überrascht. Viele haben auch Maischberger direkt geschrieben und mir Screenshots geschickt. Das hat mich riesig gefreut.

Öffentlich-rechtliche Talkshows sind häufiger Ziel Ihrer Kritik. Was regt Sie so auf?

Talkshows prägen bereits bestehende Narrative aus der Gesellschaft, die dann in den Köpfen der Menschen Wurzeln schlagen: Flüchtlinge seien Schmarotzer, Muslime seien Terroristen und Schwarze seien Vergewaltiger - diese Narrative sind vorhanden, weil Rassisten und Faschisten in der Gesellschaft vorhanden sind. Talkshows geben ebenjenen Rassisten und Faschisten regelmäßig eine Bühne, aber schließen Menschen, die von Rassismus betroffen sind, aus. Damit sind Talkshows Teil des Problems. Die muslimische Aktivistin Kübra Gümüşay hatte das einmal sehr schön beschrieben: Talkshows dienen nicht dem Austausch, sondern dazu, Fronten aufzubauen. Sie sind Kampfarenen der Extreme und am Ende kommt nichts als Zerstörung dabei heraus.

Woher kommt eigentlich dieses Bedürfnis, ständig jedes Unrecht kommentieren zu müssen?

Das hat historische und familiäre Gründe. Meine Familie stammt aus Pakistan. Dort haben wir viel Unrecht erlebt. 1974 wurde in Pakistan in die Verfassung geschrieben, dass Ahmadiyya-Muslime wie wir keine Muslime seien. Wir dürfen nicht wählen, uns nicht wie Muslime verhalten, wir werden gesellschaftlich und wirtschaftlich ausgegrenzt. Muslime, die sich zur Ahmadiyya bekennen, werden - sobald sie sich zu ihrer Identität bekennen - zusammengeschlagen, gefoltert oder ermordet. Mein Vater musste deshalb in Dubai arbeiten, ich habe ihn kaum gesehen. Das ging so nicht weiter. Ich war fünf Jahre alt, als wir von einen Tag auf den anderen Pakistan verlassen haben. Wir haben die Koffer gepackt, sind in einen Jeep gestiegen und waren weg. Das hat mich sehr geprägt. In Deutschland kamen dann neue Probleme.

Erinnern Sie sich noch, wie Sie damals aufgenommen wurden?

Eine Dame in unserer Flüchtlingsunterkunft hat uns immer Hähnchenbrustfilets aufs Zimmer gebracht. Die waren sehr lecker. Das ist eine der ersten schönen Erinnerungen, die ich an Deutschland habe! Anfänglich hatte ich viele schöne Erinnerungen, die aber mit der Zeit von Menschen zerstört wurden. Eine schlimme Erfahrung war mein erstes Bewerbungsgespräch: Die Dame fragte mich, ob ich irgendetwas Ehrenamtliches mache. Als ich ihr erzählte, dass ich mich in der Islamischen Gemeinde engagiere, klappte sie ihre Akten zu, und ich hörte nie wieder etwas von ihr. Als ich sie ein paar Wochen später endlich per Telefon erreichte, erklärte sie mir: »Sie sind Moslem. Wir haben negative Erfahrungen gemacht. Deshalb tut es uns sehr leid.«

Kann man Ihre Erfahrungen in Deutschland und Pakistan miteinander vergleichen?

Zumindest hatte ich auch in Deutschland immer das Gefühlt, mich verändern zu müssen, mich anpassen zu müssen, um Teil der Gesellschaft zu werden. Es hat lange gedauert, bis ich zu der Erkenntnis gekommen bin: Ich muss gar nichts. Ich habe schon meine Identität. Wissen Sie, mein Vater hat seine Identität nie aufgegeben. Er hätte die Ahmadiyya verleugnen und ein gutes Leben führen können. Das hat er aber nicht gemacht. Ich habe versucht, Menschen, die ähnliche Probleme haben, zu erklären: So wie du bist, bist du perfekt. Das Problem bist nicht du. Das Problem sind die, die dich ablehnen.

Wie kamen Sie dazu, sich im Netz zu engagieren?

Vor neun oder zehn Jahren begann ich in muslimischen Facebook-Gruppen aktiv zu werden. Das waren teilweise Gruppen mit 20 000 bis 30 000 Usern. Sobald ich dort erwähnte, dass ich Ahmadiyya-Muslim bin, ging es los: »Du Ungläubiger, du Kafir!« Es kamen Morddrohungen. Das hat die Motivation in mir geweckt, mich für meine Leute einzusetzen, aber auch für andere, eigentlich für alle.

Und wie kamen Sie vom Thema Islamismus zum Thema Rassismus?

Dafür verantwortlich war ein Buch, Julia Ebners »Wut - Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen«. Das hat mich davon überzeugt, dass auch Rechtsextremismus ein großes Problem ist. Beide Gruppen arbeiten mit ganz ähnlichen Instrumenten: Beide sprechen Menschen zum Beispiel ihre Identität ab. Bei den Islamisten ist es der Islam, bei den Rechtsextremisten die Nationalität.

Die Feindseligkeit, die Sie durch beide Gruppen und andere erfahren, ist enorm. Ich habe den Eindruck, Sie stehen eigentlich konstant im Shitstorm. Wird Ihnen der Hass nicht auch mal zu viel?

Die Ablehnung durch Muslime war schwierig. Das hat mich anfangs schon aus der Bahn geworfen. Aber wie gesagt: Ich weiß, was meine Mission ist. Ich mache die Sache nicht nur für mich. Damit ist geteiltes Leid halbes Leid. Ich bekomme aber auch sehr viel Beistand: von Rechtsanwälten und anderen Menschen, die mir helfen, diese Leute ausfindig zu machen und gegen sie anzugehen. Und ich bekomme auch viel positives Feedback: Nach der »Maischberger«-Petition hat mir zum Beispiel eine Muslima auf Instagram geschrieben: »Nasir, du bist ein sehr großes Vorbild für mich.« Was will man mehr! Und dann ist da natürlich noch mein Glaube.

Inwiefern hilft Gott gegen Morddrohungen?

Der Islam ist einfach eine sehr neutrale Kraft, die mir extrem viel gibt: nicht nur bei Morddrohungen, auch bei allen anderen Lebenskrisen. Wenn ich mich zum Gebet vor dieser Kraft niederwerfe, die sagt: »Ich bin dein Schöpfer, ich habe dich erschaffen. Alles, was du tust, was du getan hast, was du tun wirst, ist nur, weil ich es dir gegeben habe«, diese Erkenntnis erfüllt mich und schenkt mir inneren Frieden. Natürlich kann man das in dieser Kürze nicht erklären, dahinter steht eine Philosophie der Dankbarkeit gegenüber einem Schöpfer, der mir alles ermöglicht hat. Das hilft mir, jeden Tag innerlich das Gleichgewicht zu finden und die Dinge klar zu sehen.

Interview: Fabian Goldmann

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