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Wut normalisieren
IN SCHLECHTER GESELLSCHAFT: Deutsche halten sich für die Verkörperung der Vernunft, umgeben von Wahnsinn. Das hat System.
Wut ist Deutschen zwar nicht unbekannt – ein Gradmesser dafür ist, wie oft über die sogenannten Wutbürger:innen und »dauerempörten Schneeflocken« geredet wird. Dennoch gibt es viele, die gesellschaftlich so gut gestellt sind, dass sie keinen Grund haben wütend zu sein – es sei denn, auf die Wut anderer. Diese Menschen halten sich für die Verkörperung der Vernunft, umgeben von Wahnsinn. Wut kann für sie einige Ursachen haben: Irrationalität, Ungebildetheit, Geschlecht ... Nur eins kann sie nicht: Legitim sein.
Am 25. Juni war die Kabarettistin Idil Baydar Gästin bei Maybrit Illner, um über Polizeigewalt in Deutschland zu diskutieren. Die Besonderheit dieses Talks war nicht nur, dass sich die Redaktion bemühte, die Runde divers zu gestalten, sondern auch die Wut, die zur Geltung kam, als Baydar von Rassismus sprach. Dass sich von Idil Baydars ungefilterter Wut Tausende Menschen vertreten fühlten, wurde während und nach der Sendung in sozialen Netzwerken sichtbar.
So zufrieden wie manche Zuschauer:innen waren die Teilnehmer:innen allerdings nicht. So musste sich Baydar zuerst von Sebastian Fiedler (Bundesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter), der ebenso am Tisch saß, anhören, dass ihre Wut ein »Bühnenprogramm« sei. Kurz darauf empörte sich Wolfgang Bosbach (CDU), der mitdiskutierte, über die Art ihres Vortrags und forderte, sie solle »das Niveau anheben«.
Ähnlich wie Bosbach fanden auch so manche Social-Media-Nutzer:innen Baydars Wut »niveaulos«. Dieser Vorwurf ist nicht nur wirr (denn wer entscheidet, was niveauvoll ist?), sondern diskreditiert die Rednerin. Er lenkt von den Argumenten ab. Anstatt auf Baydars Worte einzugehen, spricht man über ihre Ausdrucksweise. Man hört ihr nicht zu und begründet es mit ihrem Verhalten.
Frauen kennen abwertende Reaktionen auf ihre Wut. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, ebenso. Idil Baydar ist beides. In ihrer Rede »Die Nutzen des Ärgers« stellt die Autorin Audre Lorde die These auf, dass weiße Frauen die Wut Schwarzer Frauen ablehnen, weil sie sie verunsichere. Weil sie nicht wüssten, wie sich ihr Leben ändern würde, wenn sie auf wütende Schwarze Frauen eingehen würden. Die vermeintlichen Schuldgefühle weißer Frauen stehe der Selbstreflexion und inneren Änderung im Weg, führe zur Aufrechterhaltung der Ignoranz und des Status quo. Wenn wir Wut ernst nehmen und darauf eingehen, müssen wir also unser Verhalten ändern. Und dafür sind wir uns zu schade. Deshalb ist das Einfachste, was wir machen können, die Wut zu diskreditieren.
Aber marginalisierte Menschen brauchen Wut, um nicht durch die täglichen Verletzungen zugrunde zu gehen. Und auch, damit ihnen überhaupt zugehört wird. Margarete Stokowski schrieb auf Spiegel-Online in Bezug auf die taz-Kolumne »All Cops are berufsunfähig«: »Hätte Hengameh Yaghoobifarah eine sachlich-ruhige Reportage darüber geschrieben, dass migrantische oder queere Leute manchmal ein nicht so gutes Verhältnis zur Polizei haben, dann hätte diesen Text einfach kaum jemand gelesen.« Sie hat recht: Trotz zahlreicher Reportagen über Polizeigewalt in Deutschland ist deren Dimension kaum jemandem klar, weil diese eben nicht flächendeckend gelesen werden.
Wut ist essenziell für politische Arbeit. Sie kann als Antrieb genutzt werden. Kollektive Wut von marginalisierten Gruppen zeigt einzelnen Betroffenen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht alleine sind, gibt ihnen Kraft und Hoffnung. Audre Lorde beschreibt die Umsetzung der Wut im Sinne der Zukunftsvisionen in Wort und Tat als eine »befreiende, stärkende Art der Aufklärung«. Wut führe dazu, dass man seine Verbündeten und Feinde identifiziere. Demnach verrät die Reaktion auf die Wut, wo Menschen politisch stehen.
Wut zu unterdrücken kann krank machen, daher muss der Emotion mehr Raum gegeben werden. Wut ist eine gesunde, legitime Emotion und eine logische Folge von Diskriminierung. Wut verschwindet nicht, wenn man sie unterdrückt oder sanktioniert. Wir müssen Wut normalisieren. Deutschland muss dringend aufhören, die Wut marginalisierter Gruppen zu dämonisieren, nur um ihnen nicht mehr zuhören zu müssen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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