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Keine Aufklärung, bis heute

Vor zehn Jahren starben 21 Menschen bei der Loveparade in Duisburg

Es ist eine Erinnerung, die ich wohl nie vergessen werde. Meine damalige Freundin und heutige Frau verließ mit mir das Gelände der Loveparade. Wir gingen die östliche Rampe herunter, sahen Bauzäune, die verbogen waren, und Menschen, die am Boden lagen. Meine Frau sagte: »Irgendwas Krasses ist hier passiert.« Ich antwortete: »Vielleicht ist da ein Auto reingefahren?« Jemand warf ein: »Ihr wollt nicht wissen, was hier passiert ist.«

Ich habe keine Erinnerung mehr daran, wer das sagte. Ob es ein Mann oder eine Frau war, ob alt oder jung, dick oder dünn. Ich weiß nur noch, dass diese Person unglaublich verdreckt aussah, müde, kaputt. Als wir das Gelände durch den Tunnel in der Karl-Lehr-Straße verließen, begegneten wir noch mehr solchen Menschen. Sie saßen an den Wänden, teilweise war ihre Kleidung zerfetzt, Schuhe fehlten. Rettungssanitäter und Polizisten kümmerten sich bereits um sie. Blaulichter waren weithin zu sehen, immer mehr Krankenwagen kamen an. Etwa zur gleichen Zeit landeten die ersten von neun Rettungshubschraubern auf der nahen Autobahn.

Das sind meine prägendsten Erinnerungen an eine Veranstaltung, die so etwas wie der Höhepunkt des Sommers hätte werden sollen. 2010 war das Jahr, in dem das Ruhrgebiet Europäische Kulturhauptstadt wurde. Die Verantwortlichen wollten zeigen, dass die Zeit von Kohle, Stahl und Bier vorbei war. Industrieanlagen wurden zur Kulisse für Theater, Museen und Konzerte. Die Region sollte ein neues Image bekommen. Das klappte auch relativ gut. Nur eine Woche vor der Loveparade freuten sich Hunderttausende Menschen über die gesperrte Autobahn A 40, die quer durch das Ruhrgebiet führt. Auf der gesamten Länge präsentierten sich Vereine und Institutionen der Region. Wer sich dafür nicht interessierte, hatte die einmalige Möglichkeit, die Autobahn mit Fahrrad, Skates oder Skateboards zu nutzen.

Das Ruhrgebiet zeigte, dass es Großveranstaltungen kann. Auch die Loveparade war schon drei Jahre in der Region. In Berlin war damit 2006 Schluss. Rainer Schaller, Chef der Fitnessstudiokette McFit, hatte die Rechte an der Parade gekauft. Der Unternehmer sah nicht genug Unterstützung durch die Berliner Politik und zog es vor umzuziehen. Die Stadt Essen und das Ruhrgebiet griffen gierig zu. Eine Veranstaltung mit internationaler Bekanntheit, das passte gut ins Konzept der Verantwortlichen. 2007 bis 2011 sollte die Loveparade im Ruhrgebiet stattfinden. In Essen und Dortmund in den Jahren 2007 und 2008 ging das auch gut. Als Bochum 2009 aus Kapazitätsgründen absagte, weil die Stadtverantwortlichen keine Möglichkeit sahen, eine solche Mammutveranstaltung sicher durchzuführen, hätten auch in Duisburg die Alarmglocken schlagen können.

Doch das taten sie nicht. Bedenken von Mitarbeitern der Stadt wurden weggewischt. Behördenleiter traten ebenso wie Mitarbeiter der Loveparade-Firma selbstbewusst auf. Für jedes Problem gab es eine Lösung, auch wenn dabei getrickst werden musste. Und so unterschied sich die Loveparade von früheren Paraden. Sie sollte nicht in der Stadt, sondern auf der abgesperrten Fläche des alten Güterbahnhofs stattfinden.

Nach einem langen, langen Weg durch die Stadt hatten wir das Gelände erreicht. Immer wieder Polizisten am Weg. Im Tunnel war es schon am frühen Nachmittag sehr voll. Nichts Besonderes, dachten wir uns. Die Vereinzelungsanlagen waren ja geöffnet. Schon nach etwa einer Stunde auf dem geschotterten Partygelände hatten wir keine Lust mehr. Zu eng, zu unbequem, einfach nicht schön. Wir verließen das Gelände.

Dann sahen wir die Katastrophe, konnten sie aber nicht begreifen. Ein Nachbar schrieb eine SMS, fragte, ob es uns gut ging. Ich antwortete mit viel Verzögerung, das Handynetz war zusammengebrochen. Wir erfuhren nicht gleich, dass es Tote gegeben hatte. Auf dem Weg zurück zum Hauptbahnhof hörten wir immer wieder Sirenen, sahen die Hubschrauber. Auf Umwegen kamen wir nach Hause. In den folgenden Tagen haben wir jede Zeitung gekauft und jede Sondersendung gesehen. Wir wollten verstehen, was passiert war.

Die Antworten waren so unbefriedigend, wie sie noch heute sind. Rainer Schaller und der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland setzten zwar ein trauriges Gesicht auf, Verantwortung übernahmen sie aber nicht. Sauerland wurde erst durch einen Bürgerentscheid abgewählt. Einen Strafprozess lehnte das Landgericht Duisburg zunächst ab. Das Oberlandesgericht musste es zur Prozessführung zwingen. Der Prozess begann im Dezember 2017. Er endete in diesem Frühjahr mit der Einstellung der Anklagen gegen zehn Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters. Ihre jeweilige Schuld sei zu gering, hieß es im Einstellungsbeschluss. Eine politische Aufarbeitung der Katastrophe hat faktisch bis heute nicht stattgefunden. Überlebende und Hinterbliebene warten noch immer auf vollständige Aufklärung. Sie wird wahrscheinlich nie kommen.

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