Ein Drittel wird untergehen

Einzelhandelsverbandschef Busch-Petersen über die Krise der Berliner Läden

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Herr Busch-Petersen, die Berliner können wieder nach Lust und Laune shoppen. Tun sie es auch?

Nein. Insbesondere für den durch den Shutdown ohnehin schon in Mitleidenschaft gezogenen stationären Handel mit Non-Food-Artikeln - Textilien, Schuhe, Mode - muss man feststellen: Wir haben die Beschäftigten auf der Fläche, wir haben die Läden auf, aber die Kunden kommen nicht. Es ist damit leider eingetreten, was wir vorhergesagt haben: dass nämlich die Phase nach dem Shutdown für diese Handelssortimente mindestens genauso existenzbedrohend ist wie die Phase des Shutdown selbst, nur dass sie den Kostenfaktor Beschäftigte jetzt nicht mehr über Kurzarbeit ausgliedern können.

Nils Busch-Petersen

Der Jurist ist seit 2005 Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, der nach eigenen Angaben in beiden Bundesländern rund 2000 Einzelhändler vertritt. Zuvor war er 15 Jahre lang in gleicher Funktion für die Einzelhandelsverbände der Hauptstadt tätig - und Anfang 1990 für die FDJ kurzzeitig auch mal Bezirksbürgermeister von Pankow. Über die Krise des Handels, die Gewerbemietpreisbremse und die Sonntagsöffnungen sprach mit ihm Rainer Rutz.

Also keine Entspannung in Sicht?

Überhaupt nicht. Denn am 1. Oktober steht vor uns eine große dicke Nebelwand: die auslaufende Insolvenzantragsfristverlängerung. Und über das, was dann kommt, kann man guten Gewissens nur spekulieren.

Was wäre denn Ihre rein spekulative Befürchtung?

Aufs ganze Jahr bezogen, rechnen wir inzwischen mit mindestens 1,8 Milliarden Euro Umsatzverlust in Berlin. Im besonders betroffenen Non-Food-Handel, der ganz stark auch die DNA der Stadt prägt und die Lebensqualität, halten wir nach wie vor jedes zweite Unternehmen für existenzgefährdet. Und wir fürchten, dass bis zu einem Drittel der Geschäfte die Sache nicht überleben wird. Bezogen auf die Jetztzeit weigere ich mich deshalb auch, von der Zeit nach Corona zu reden, denn wir sind mittendrin.

Woran liegt es denn, dass offenbar zu wenige Leute Lust haben, Geld auszugeben?

Wir haben in Berlin inzwischen 200 000 Menschen in Kurzarbeit, hinzu kommen über 200 000 Arbeitslose - ein Heer Verunsicherter, die nicht wissen, wie es weitergeht. Und Unsicherheit bremst Konsum, wenn es darum geht, eine Zukunftsentscheidung wie den Kauf eines Artikels zu treffen. Die Angst vor Ansteckung und die Hygieneregelungen tun das Übrige, sind aber nicht der Hauptgrund.

Anfang des Monats kochte ja auch kurz noch die Maskendebatte hoch ...

Ach, ich bitte Sie! Wer jetzt glaubt, wenn wir die wirklich lästige Maske abschaffen, läuft der Konsum wieder gut, der hat sich nicht mit dem Thema befasst. Österreich hatte die Maskenpflicht eine Zeit lang abgeschafft; das hat dem Handel wenige Prozentpunkte mehr Umsatz eingebracht, aber keine Probleme gelöst.

Im Bundesrat ist nach wie vor eine Senatsinitiative für eine Gewerbemietbremse anhängig. Sie nannten die Initiative Anfang des Jahres einen »Rohrkrepierer«. Da war noch eitel Sonnenschein. Hat sich Ihre Haltung angesichts der Krise geändert?

Nein. Und ich will Ihnen auch sagen, warum: Nicht nur, weil eine Gewerbemietpreisbremse nicht marktkonform ist und es noch schwieriger ist, in das Gewerbemietrecht einzugreifen als in das Wohnmietrecht. Sondern auch, weil der ganze Ablauf ein bezeichnendes Licht auf das chaotische Vorgehen des Justizsenators geworfen hat. Keiner aus der Wirtschaft kannte dieses Papier. Können Sie mir mal sagen, was das für eine Partizipation ist, wenn ich mit denen, die die Betroffenen vertreten, nicht rede?

In einer anderen Frage sind Sie dafür ganz auf Seiten einiger Senatsvertreter: bei den generellen Sonntagsöffnungen. Nun bedeuten Sonntagsöffnungen auch mehr Personalkosten, und wie Sie selbst sagen: Die Kauflaune ist so oder so gedrückt. Das soll sich rechnen?

Nun, das muss sich jedes Unternehmen selbst ausrechnen. Es soll ja nicht jeder jeden Sonntag öffnen müssen. Aber er soll die Chance dazu haben. Wir sind doch auch nicht doof. Wir machen doch die Läden nicht auf, um Geld zu verlieren, sondern um Geld zu verdienen. Und es geht zurzeit um jeden Euro Umsatz und um jeden Arbeitsplatz.

Die Gewerkschaft dürfte trotzdem auf die Barrikaden gehen …

Ja, ja, wenn ich die Fensterreden der Gewerkschaft Verdi höre, dass sie den Handel am Sonntag unterbindet. Tatsache ist, dass Sonntagsbeschränkungen im Handel in der heutigen Zeit ein Anachronismus sind. Sehen wir uns doch bitte nur einfach mal in Europa um - und wir sind doch so gerne Europäer. Hinzu kommt: Jeder und jede kann an jedem Ort der Welt zu jeder Zeit jedes Produkt online erwerben, auch sonntags. Wer glaubt, dass das nicht mit Sonntagsarbeit verbunden ist, die vielleicht außerhalb Deutschlands stattfindet, der irrt oder lügt. Aber das ist den Herrschaften offensichtlich egal. Hauptsache, der Deutsche hat seine Kleingartenruhe.

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