Allen Widrigkeiten zum Trotz

Diada de Sant Jordi - Wie sich der Buchmarkt in Spanien in der Coronakrise zu behaupten versucht

  • Isabella Caldart
  • Lesedauer: 5 Min.

Es war kein gewöhnlicher Tag für die die Buchhändler*innen in Barcelona - der diesjährige Diada de Sant Jordi, der Tag des Heiligen Georgs. Das Fest zu Ehren des Schutzpatrons wird traditionell am 23. April gefeiert, der zufällig auch Welttag des Buches ist. In diesem Jahr wurde Sant Jordi coronabedingt auf den 23. Juli verschoben. Das beliebte Bücher- und Rosenfest ist der mit Abstand umsatzstärkste Absatztag im katalanischen Buchhandel. Die abgespeckte Version konnte die Erwartungen nicht annähernd erfüllen. Und doch ...

Für den Ersatztermin am 23. Juli gab es große Pläne. So sollte der Prachtboulevard Passeig de Gràcia teilweise gesperrt werden, um genug Platz für Bücher- und Blumenstände und den nötigen Abstand für die Kund*innen zu bieten. Die in den letzten Wochen erneut drastisch ansteigenden Zahlen von Corona-Neuinfizierten in Katalonien - auch das deutsche Auswärtige Amt rät inzwischen von Reisen in die Region ab -, ließen die Hoffnungen zerplatzen. Etwa 100 Buchhandlungen hatten Tische und Stände aufgestellt - konnten sich aber nur eines Bruchteils des Publikumsinteresses der Jahre zuvor erfreuen.

Für gewöhnlich werden am 23. April an die 1,6 Millionen Titel verkauft und ist ein Umsatz von 20 bis 22 Millionen Euro zu verzeichnen. Dieser Tag ist aber nicht nur ökonomisch wichtig, sondern auch identitätsstiftend für die katalanische Kultur: Rund 60 Prozent der verkauften Bücher sind auf Katalanisch verfasst und ediert, an den restlichen 364 Tagen des Jahres machen katalanische Titel nur 30 Prozent des Verkaufs aus.

Der dreimonatige Lockdown der spanischen Wirtschaft macht sich im Buchhandel in vielerlei Hinsicht bemerkbar. Spürbar ist nicht nur, dass über viele Wochen der Einzelhandel nahezu vollständig geschlossen war. Die auf englischsprachige Bücher spezialisierten Buchhandlung »Come in« im Stadtteil Eixample von Barcelona hat das Ausbleiben der Tourist*innen besonders schmerzhaft erfahren. Dementsprechend versucht man nun auch dort mit katalanischsprachigen Titeln zu locken.

Wenige Straßen weiter befindet sich die Buchhandlung »La Impossible«, die an Sant Jordi ebenfalls einen kleinen Stand aufgebaut hat. Während einige Buchhandlungen im Vorfeld bereits angekündigt hatten, das Bücherfest aus Sicherheitsgründen nicht zu feiern, bekräftigt Mireia Perelló, nicht vor dem Virus kapitulieren zu wollen: »Vor der Buchhandlung präsentieren wir Neuerscheinungen und vielversprechende Bücher, damit nicht zu viele Menschen auf einmal den Laden betreten.«

Auch wenn das populäre Fest anders als bis dato im Stadtbild kaum präsent ist, in den Buchhandlungen ist trotzdem einiges los. Die Verkäufe liegen, wie die Zeitung »La Vanguardia« berichtet, immerhin zwischen zehn und 30 Prozent über dem Niveau eines normalen Tages in Zeiten der Pandemie. »Das diesjährige Sant Jordi war eine Lightversion«, sagt Jan Martí, »aber jede Geste, die den unabhängigen Buchhandlungen und Verlagen hilft, ist willkommen.«

Martí ist Verleger von Blackie Books, einem Verlag, den er 2009 gemeinsam mit Alice Incontrada in Barcelona gegründet hat. Neben bekannten internationalen Autor*innen wie David Sedaris, Muriel Spark und Trevor Noah setzt Blackie Books auf vielversprechende spanische Titel, etwa auf Bücher des Journalisten Miqui Otero oder von Santiago Lorenzo, dessen Bestseller »Los Asquerosos« in deutscher Übersetzung im Heyne-Verlag erscheinen wird. »Unser Verlag ist sehr eklektisch«, ist Martí überzeugt. »Wir interessieren uns für vieles, und deswegen ist es für uns nur eine reiche Vielfalt im Programm selbstverständlich.« Blackie Books verlegt neben dem deutschen Schriftsteller und Regisseur Werner Herzog auch die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren, Autorin von »Pippi Langstrumpf« sowie illustre und reich illustrierte Bücher über Philosophie. Eine Mischung, die funktioniert: Blackie Books ist ein unabhängiger Verlag, der das größte Wachstum in ganz Spanien aufweisen kann.

Den Lockdown beschreibt Martí als »eine merkwürdige Epoche«. Wie viele Verlage in Deutschland auch hat Blackie Books die Notbremse ziehen müssen: Im April und Mai wurden keine Bücher veröffentlicht, das Herbstprogramm ist reduziert. Das Editionshaus hat mehrere tausend Exemplare weniger verkauft als gewöhnlich. »Der Umsatzrückgang in den ersten Monaten war brutal«, klagt der Verleger. Doch man zeigte sich kreativ: »Nach dem anfänglichen Schock haben wir die Zeit genutzt, um uns neu zu erfinden, und die Plattform casablackie.org gegründet.« Bücher werden in diversen Kontexten und Initiativen präsentiert. Casablackie.org zählt inzwischen Tausende Abonnent*innen.

Trotz des deutlichen Umsatzrückgangs beweist sich Barcelona, Hauptstadt nicht nur des katalanisch-, sondern auch des spanischsprachigen Buchmarkts, als resistent gegen den verheerenden Virus. »Das Wichtigste sind die unabhängigen Buchhandlungen«, sagt Martí. Er fügt hoffnungsvoll hinzu: »Und diese werden, so sieht es zumindest derzeit aus, auch überleben.«

Auch Mireia Perelló bleibt guter Dinge, allen Widrigkeiten zum Trotz. »Am 23. April war die Buchhandlung geschlossen, aber viele Menschen haben online bestellt oder Gutscheine gekauft«, würdigt sie die Solidarität ihrer Kund*innen. »Mit der Resonanz waren wir sehr zufrieden.«

Im Vergleich zu einem normalen Sant Jordi blieben die Verkäufe in diesem Jahr zwar hinter allen Erwartungen zurück, aber: Laut dem katalanischen Buchverband Cambra del Llibre de Catalunya wurden am 23. April und am 23. Juli zusammen im Online-Handel immerhin 45 Prozent des Umsatzes der Vorjahre erreicht. Die Katalan*innen wissen um die Bedeutung ihres Buchmarktes. Und sie wissen um den Genuss und die Horizonterweiterung, die ihnen die Lektüre gerade in unwirtlichen Zeiten bescheren kann.

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