Weitere Gräber nicht mehr namenlos

In Rom identifiziert eine Initiative noch unbekannte Opfer des Massakers der SS in den Ardeatinischen Höhlen

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Marian Reicher und Heinz Erich Tuchman. Diese beiden Namen wird man demnächst auf zwei Gräbern lesen können, auf denen bisher »unbekannt« stand. Sie und weitere 333 befinden sich im Mausoleum der Ardeatinischen Höhlen in Rom, das den Opfern des Massakers gewidmet ist, welches die Nazis am 24. März 1944 hier verübten.

Organisiert hatte das Morden der Kommandeur der Sicherheitspolizei in Rom Herbert Kappler, um einen Anschlag zu »rächen«, den eine Partisaneneinheit gegen die deutschen Besatzer verübt hatte und durch den 33 Südtiroler Polizisten ums Leben kamen. Für jeden von ihnen sollten 10 Italiener sterben - aber es stellte sich als schwierig heraus, die 330 Todeskandidaten zu finden. Die Opfer holte man aus dem SS-Gefängnis in der Via Tasso, wo die »Politischen« einsaßen, und aus dem städtischen Gefängnis Regina Coeli, wo auch verhaftete Juden auf den Abtransport in die Vernichtungslager warteten. Da man so aber immer noch nicht genügend Männer zusammen hatte, wurden auch einige von der Straße aufgegriffen. Dann brachte man alle in die Tuffsteinhöhlen im Süden Roms, wo sie mit einem Genickschuss ermordet wurden. Danach wurden die Höhlen gesprengt.

Als die Nazis aus Rom geflüchtet waren, begann die Bevölkerung damit, die Toten auszugraben und zu identifizieren. Aber bei zwölf Leichen gelang das nicht. Erst die DNA-Analyse macht es seit einigen Jahren möglich, die Identifizierung fortzusetzen. Eine Einheit der italienischen Militärpolizei wirkt dabei mit Partisanenvereinigungen und der jüdischen Gemeinde zusammen. Seit über zehn Jahren ist man dabei, Namen, die auf der Todesliste der SS standen, den noch nicht identifizierten Opfern zuzuordnen.

Drei »Treffer« gab es relativ schnell. Aber dann passierte acht Jahre lang scheinbar überhaupt nichts mehr. In den letzten Monaten konnte man jedoch endlich zwei weitere Namen sterblichen Überresten zuordnen. Bei Marian Reicher und Heinz Erich Tuchman handelt sich um zwei deutsche Juden, die in den Ardeatinischen Höhlen umgebracht wurden. Reicher, 1901 in Kolomyia in der heutigen Ukraine geboren, wurde mit Hilfe von Erbmaterial seines Sohnes David identifiziert, der heute in Israel lebt. Wie und warum Reicher nach Italien gekommen war, ist unbekannt, man weiß nur, dass er in Rom verhaftet und dort im »jüdischen Flügel« des Gefängnisses gefangen gehalten wurde. Von dort sollte er in das Polizei- und Durchgangslager Fossoli bei Modena gebracht werden, um schließlich in einem KZ zu enden.

Heinz Erich Tuchman, dem man zuletzt ein Grab zuordnen konnte, wurde 1911 in Magdeburg geboren. Er flüchtete erst nach Dalmatien und dann ins italienische Padua, wo er 1942 zusammen mit seiner Ehefrau verhaftet und im Lager in Fara Filiorum Petri interniert wurde. Wieder gelang ihm die Flucht und wieder wurde er verhaftet und schließlich in das römische Gefängnis gebracht. Die in diesem Fall äußerst komplexe Identifizierung erfolgte durch einen DNA-Abgleich mit Tuchmans in England ansässigem Neffen Jeremy.

»Für uns war es eine große Genugtuung, dass wir diesen menschlichen Überresten einen Namen zuordnen konnten«, sagt Oberst Sergio Schiavone, Leiter der zuständigen Polizeiabteilung. »Normalerweise haben wir mit gewöhnlichem Mord zu tun. Aber in diesem Fall waren die Emotionen viel größer und intensiver, weil wir die tragische Geschichte dieses Mannes und all der anderen Opfer dieses Massakers kennen.« Auch Verteidigungsminister Lorenzo Guerini äußerte sich: »Vor allem die Jugendlichen müssen die Lebensgeschichten der Menschen kennen, die Opfer des Nazifaschismus wurden. Die Erinnerung an sie muss weiterleben, das verlangen die Prinzipien Freiheit und Demokratie, die unserer Verfassung zugrunde liegen. Wir sind bei ihnen und ihren Familien: Italien wird sie nie vergessen«. Jetzt bleiben in den Ardeatinischen Höhlen noch sieben Gräber mit der Aufschrift »unbekannt«.

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