Ein Viertel weniger

Gelder für die EU-Forschung wurden stark gekürzt.

  • Manfred Ronzheimer
  • Lesedauer: 4 Min.

Damit genug Geld für das gigantische Corona-Hilfsprogramm zusammenkommen konnte, ist das neue EU-Forschungsrahmenprogramm für die nächsten sieben Jahre, »Horizon Europe«, stark gekürzt worden. Statt 94 Milliarden Euro, wie von der EU-Kommission vorgeschlagen, wollen die EU-Regierungschefs nur 75,9 Milliarden Euro für Europas Forscherinnen und Forscher geben.

Mit einem solchen Einschnitt hatte niemand in der Wissenschaftswelt gerechnet. Die Beschlüsse des EU-Gipfels blieben für die Wissenschaft »klar hinter den Erwartungen und künftigen Erfordernissen zurück«, erklärten die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als Dachverband der deutschen Universitäten und Fachhochschulen, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) in einer gemeinsamen Stellungnahme. Gerade für eine erfolgreiche Bewältigung der Coronakrise sei eine »gezielte Erhöhung der Fördermittel für die europäische Wissenschaft, insbesondere ein ausgewogenes Horizon-Europe-Programm«, unerlässlich, erklärte HRK-Präsident Peter-André Alt.

Die deutschen Wissenschaftsorganisationen hätten es lieber gesehen, den Etat gerade wegen der Corona-Pandemie sogar noch beträchtlich aufzustocken, wie es auch das Europäische Parlament gefordert hatte. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Martin Stratmann, sprach von einem »schlechten Tag für die europäische Forschungsförderung«. Begrüßenswert sei indes der Aufwuchs der Mittel durch den »Next Generation EU«-Plan für Gesundheitsforschung, den »Green Deal« und die digitale Zukunft in Höhe von fünf Milliarden Euro.

Nicht nur bei der Forschung, auch bei der Hochschullehre - wie dem erfolgreichen europäischen Austauschprogramm für Studierende »Erasmus« - wurde gekürzt. »Wir brauchen gut ausgebildete, mehrsprachige und interkulturell erfahrene junge Menschen für die Zukunfts- und die Innovationsfähigkeit Europas«, sagte der Gießener Universitätspräsident Joybrato Mukherjee in seiner Funktion als Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Mit besonderer Sorge blicke der DAAD auch auf »die Gefährdung von neuen Initiativen wie die Europäischen Hochschulnetzwerke«. Diese bereits erfolgreich im Erasmus-Programm begonnene Initiative sei »schon jetzt unterfinanziert«.

Auch unter den Forschungspolitikern im Europäischen Parlament trafen die Beschlüsse des EU-Gipfels auf Unverständnis und teilweise offenen Protest. Der Brandenburger Europaabgeordnete Christian Ehler (CDU/EVP), einer der beiden Parlaments-Berichterstatter für Horizon Europe, wertete den Beschluss zum mehrjährigen Finanzrahmen als »ein Nein für Innovation«. Damit gerate Europa gegenüber seinen globalen Konkurrenten in Asien und den USA weiter ins Hintertreffen. Auch im Innern falle Europa auseinander, wenn wirtschaftsstarke Länder wie Deutschland damit beginnen, eigene nationale Programme für Schlüsseltechnologien wie Quantencomputersysteme und Künstliche Intelligenz zu entwickeln. Ehler und andere EU-Parlamentarier kündigten an, sich bei der endgültigen Verabschiedung des Haushalts im September durch das EU-Parlament für eine deutliche Erhöhung der Forschungsmittel einzusetzen.

Von Bedeutung ist zudem die Rolle des Europäischen Forschungsrates ERC (European Research Council), der als Institution der Grundlagenforschung selbst aus dem Horizon-Budget finanziert wird. 13,5 Milliarden Euro wurden in der letzten Periode seit 2014 an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Europa verteilt. Der ERC wurde 2007 als Institution zur Förderung der Spitzenforschung in Europa gegründet. Das Besondere: Nicht Einrichtungen werden finanziert, sondern Personen, wissenschaftliche Talente in verschiedenen Phasen ihrer Karriere, die weitere kreative Entwicklungsschübe erwarten lassen. Als Vorbild für die Konstruktion stand die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) Pate.

Die gewichtige Stimme der Forschung ist derzeit jedoch etwas »heiser«, weil der Rat ohne gewählten Führungskopf ist. Anfang April war der frisch gekürte ERC-Präsident Mauro Ferrari von seinem Amt nach nur drei Monaten wieder zurückgetreten. Der italienische Nanomedizin-Unternehmer nannte als Grund für den Bruch die Uneinigkeit mit den anderen Führungsmitgliedern über eine Neuausrichtung des Rates zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Diese wiederum monierten, Ferrari sei die meiste Zeit für seine Firma in den USA unterwegs und kümmere sich zu wenig um seine Brüsseler Aufgabe. Nun läuft die Suche nach dem Nachfolger.

Vergangene Woche die Personal-Überraschung: Der Belgier Jean-Pierre Bourguignon, der den Forschungsrat als Präsident von 2013 bis 2019 geleitet hatte, amtiert als neuer Interims-Chef. Für das parlamentarische Tauziehen um die künftigen EU-Forschungsmilliarden dürfte die Erfahrung des Brüsseler Wissenschaftsmanagers durchaus von Bedeutung sein.

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