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Rin in die Kartoffeln, raus aus die Kartoffeln

Shitstorm als Marketing: Der Umgang mit den Comedians Lisa Eckhart und Dieter Nuhr

  • Ruth Oppl
  • Lesedauer: 6 Min.

»Ich will, dass gegen mich demonstriert wird. Als Axel Hacke sein Buch ›Der weiße Neger Wumbaba‹ herausbrachte, gab es gegen ihn Demos von Antirassisten. Da war ich neidisch, weil so was der Beweis von Relevanz ist«, schrieb Harald Martenstein, und sein Wunsch wurde erfüllt, wie er im Januar 2017 in seiner Kolumne im »Zeit-Magazin« berichtete. Launig erzählte er davon, wie das so gewesen sei, vier Monate zuvor im »Nochtspeicher«, einem Veranstaltungsort in Hamburg, als endlich gegen ihn protestiert wurde: »Fünf oder sechs schwarz gekleidete Teenager tauchten auf und schrien ›Sexistische Scheiße! Schluss! Aufhören!‹ (…) Ich sagte: ›Toll, dass Sie da sind, Sie erfüllen mir einen lang gehegten Lebenstraum, bitte, kommen Sie auf die Bühne, schimpfen Sie mit mir.‹ Daraufhin zogen sie rätselhafterweise wieder ab.«

Fast vier Jahre später wird diese Episode plötzlich wieder wichtig. Lisa Eckhart, eine österreichische Kabarettistin, Shooting-Star der deutschsprachigen Kleinkunstszene, wird vom Literaturfestival »Harbour-Front« ausgeladen, wo sie mit ihrem neuesten Buch »Omama« im Rahmen des »Debütantensalons« in eben diesem »Nochtspeicher« am Wettbewerb um den mit 10 000 Euro dotierten Klaus-Michael-Kühne-Preis teilnehmen sollte. Denn der »Nochtspeicher« hatte erklärt, die »Sicherheit der Besucher und der Künstlerin nicht gewährleisten« zu können. Angeblich plane, »der schwarze Block« die Veranstaltung gewaltsam zu sprengen, weil Lisa Eckhart bei einem Auftritt in der Fernsehsendung »Mitternachtsspitzen« antisemitische Stereotype bedient habe. Als dem Hamburger Festival die »Sicherheit« wieder gewährleistet schien, wurde sie wieder eingeladen. Doch Künstler ein- und wieder aus- und dann wieder einzuladen, ist nicht besonders professionell. Das sahen auch die Agentur wie der Verlag von Lisa Eckhart so und entschieden sich am Montag dafür, die Wiedereinladung abzulehnen.

In den »Mitternachtsspitzen« hatte die Kabarettistin die #MeToo-Kampagne in den USA thematisiert und dabei den Täterkreis auf die Angehörigen von Minderheiten reduziert: Schwarze, Schwule und Juden, die sie die »Unantastbaren« nennt. Ihre zentrale Pointe zu den drei von ihr ausgewählten Juden – Harvey Weinstein, Roman Polanski und Woody Allen – lautete dann wie folgt: »Da haben wir immer gegen diesen dummen Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und dafür brauchen sie das Geld.« Damit bedient sie das antisemitische Klischeebild der Nationalsozialisten vom »sexgeilen Juden«, der die (»arische«) Frau bedrängt. Die humoristische Brechung bleibt auf das Spiel von »Juden« und »Geldgier« beschränkt, die Prämisse des Witzes – nämlich die angebliche sexuelle Übergriffigkeit explizit jüdischer Männer – wird zu keinem Zeitpunkt satirisch unterlaufen.

Es ist bei Lisa Eckhart also auch nicht anders als beim Gros derjenigen, die ihrem Publikum vorführen möchten, wo es in angeblichen oder tatsächlichen »Political Correctness«-Fallen sitzt – sie haben selbst nicht völlig verstanden, wo die herabwürdigenden Stereotype sitzen und wie diese genau funktionieren. Im Interview mit der »Welt am Sonntag« hat Lisa Eckhart dann vollends ihre Bankrotterklärung als Satirikerin abgegeben: »Die Gefahr, dass ich, wenn ich die Linken kritisiere, Beifall von rechts bekomme, sehe ich. Nur was ist die Alternative?« Wenn sie selbst nicht die analytischen und handwerklichen Fähigkeiten hat, satirisch so präzise zu arbeiten, dann sollte sie sich vielleicht die Programme derjenigen unter ihren Kollegen anschauen, die genau diese mehrfachen Brechungen beherrschen wie beispielsweise Serdar Somuncu. Der muss allerdings aus Gründen, über die nachzudenken nicht schaden kann, mit kugelsicherer Weste und unter Polizeischutz auftreten.

Die Diskussion um Eckharts Nummer in den »Mitternachtsspitzen« begann Ende April/Anfang Mai, also zu einem Zeitpunkt, als die Teilnehmer des »Debütantensalons« mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits gebucht waren. Was also tut man jetzt als Veranstalter, wenn ganz plötzlich ein gebuchter Künstler Shitstorm-Qualitäten bekommt, mit denen man zum Zeitpunkt des Bookings nicht gerechnet hatte? Der »Nochtspeicher« entschied sich dafür, den Auftritt der Künstlerin abzusagen. Nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil es Gewaltandrohungen des »schwarzen Blocks« gebe. Verwiesen wurde auf den Auftritt von Harald Martenstein aus dem Jahr 2016, den dieser in seiner Kolumne so launig gefeiert hatte. Überdies wurde – auf den Auftritt von Lisa Eckhart bezogen – ein Gefahrenszenario entwickelt, das seinesgleichen sucht: »Sach- und Personenschäden« seien wahrscheinlich, »Straßenkämpfe« wurden prognostiziert und »Weimarer Verhältnisse« beschworen. Eine eindrucksvoll orchestrierte »Wall of Wehklagen« in nahezu allen Medien über die angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit und die autoritäre »Cancel Culture« war die Folge, bis sich herausstellte, dass es tatsächlich gar keine Drohungen gab, sondern lediglich »Warnungen besorgter Nachbarn« – Hörensagen also, Gerüchte und Vermutungen.

Für einen Veranstalter ist es nie angenehm, wenn sich abzeichnet, dass eine Veranstaltung gesprengt werden könnte, aber selbstverständlich gibt es Wege mit so einem Szenario professionell umzugehen. Ein paar Gerüchte aufzubauschen, die Zwangsvorstellung zu entwickeln, dass es eine Bedrohung gäbe, und den linksradikalen Teufel »schwarzer Block« an die Wand zu malen, all das gehört definitiv nicht dazu. Ganz zu schweigen davon, Künstler ein-, aus- und dann wieder einzuladen.

Ähnlich unentschieden zeigte sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Umgang mit dem Comedian Dieter Nuhr, den sie für ihre Jubiläumskampagne »#fürdasWissen« anlässlich ihres 100jährigen Bestehens verpflichtet hatte: Sie veröffentlichte auf ihrer Internetseite ein Audio-Statement von Nuhr, in dem er sich allgemein über die »Wissenschaft« als »Wissensbasis« äußerte, löschte es nach Protesten gegen die Person Nuhr, um es dann abermals einzustellen. Dass sich Nuhr in der Rolle des alles besser Wissenden, der alles verstanden und durchdrungen hat, am besten gefällt – typisch Lehrer halt –, dabei aber den Stand der Wissenschaft immer dann ignoriert, wenn aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mit seiner wirtschaftsliberalen FDP-Agenda zusammenpassen – da sind dann schon mal Kerzen gefährlicher als Dieselmotoren –, war der Tenor vieler kritischer Beiträge aus der Wissenschaftscommunity, die die Entscheidung der DFG, ausgerechnet Dieter Nuhr zum Botschafter für Wissenschaft zu machen, für völlig verfehlt hielten. Ganz offensichtlich hatten diejenigen, die für die Bewerbung der Jubiläumskampagne zuständig waren, einfach querbeet Prominente angefragt, ohne sich darüber zu informieren, was diese Promis denn inhaltlich so von sich geben. Jetzt fand sich aber auf Twitter und Facebook eben nicht nur mit Argumenten arbeitende Kritik, sondern, wie bei einem Shitstorm üblich, auch einiges an Geschrei rund um die Entscheidung der DFG, was es Dieter Nuhr wiederum ermöglicht hat, unter Verweis auf das »Empörungstheater« auch die berechtigte Kritik von sich zu weisen – und so wurde auch Nuhr erst ein-, dann aus- und dann wieder eingeladen.

So wie Harald Martenstein sich einst über die Protestaktion im »Nochtspeicher« gefreut hat, weil er damit seine vermeintliche »Relevanz« bestätigt sah, so gilt mittlerweile auch der Shitstorm vor allem als effektives Marketinginstrument und wird auch so genutzt; das Branchenmagazin »Werben & Verkaufen« kürt etwa die »Top-Five-Shitstorms des Jahres«, und Agenturen bieten Seminare und Coachings mit Titeln wie »Shitstorm als Chance« an. Als »wichtig« gilt demnach, wer Gegenstand eines Shitstorms war – schon allein deshalb sollte kritisch geprüft werden, ob solche Protestformen als politische Praxis einer emanzipatorischen Linken taugen.

Was die Wertschätzung von Kunst und Kultur angeht, so kann man auch bei Linken die Neigung feststellen, Kunst derart instrumentalisieren zu wollen, dass die Grenzen zu Propaganda und Pädagogik zu verschwimmen drohen. Und sicher gibt es auch Linke, die ebenso wie die katholische Kirche und die CSU meinen, dass die Gesellschaft dadurch eine bessere wird, indem man missliebige Kultur verunmöglicht. Das war jedoch weder bei Lisa Eckhart noch bei Dieter Nuhr der Fall. Hier wurde vielmehr mittels des »Gespensts Cancel Culture« (»Zeit«) versucht, von der mangelnden Professionalität des »Nochtspeichers« und des »Harbour-Front-Festivals« (bei Eckhart) sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft (bei Nuhr) abzulenken. Und fast alle haben mitgemacht.

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