Den Würgereiz ignorieren

Markus Söder versucht, im Schlamassel einer Datenauswertungspanne Haltung zu bewahren

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Markus Söder nimmt die Panne bei der Auswertung der Coronatests bei Reiserückkehrern höllisch ernst. 44.000 Tests, deren Ergebnisse nicht an die Getesteten übermittelt wurden, 900 davon positiv - eine logistische Katastrophe. Zuerst sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef einen Trip nach Schleswig-Holstein ab, dann geriet auch die weitere Zeitplanung durcheinander. Eine Pressekonferenz von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) wurde abgesagt und mit einer verschobenen Pressekonferenz Söders zusammengelegt.

Kippelte Humls Stuhl bereits? Am Nachmittag schließlich Söders Antwort: »Melanie Huml hat mir den Rücktritt angeboten, zweimal.« Doch er habe weiter Vertrauen zu ihr. Huml revanchierte sich brav: »Ich bin dankbar, dass ich das Vertrauen weiterhin habe.« Söder sprach freilich von einer »schwierigen Situation«. In den »kommenden Stunden und Tagen« müssten alle Betroffenen informiert, Fehler »jetzt deutlich aufgearbeitet werden«.

Für Söder, der die Tests in Bayern als nachahmenswertes Beispiel für den Bund gelobt hatte, ist die Panne ein Menetekel. Befand er sich doch auf dem Höhepunkt seines Ansehens als Krisenmanager und entschlossener Coronabekämpfer. Zuletzt hatte er sich noch für die schnellere Definition von Risikogebieten ausgesprochen. Die Tests bei den Reiserückkehrern liefen. Alles im grünen Bereich also. Schwierigkeiten schienen sich auf die Betroffenen und die unangenehme Prozedur des Tests zu beschränken. Ein AFP-Kollege schilderte den Vorgang am Münchner Hauptbahnhof mit den folgenden Worten: »Die Hände nochmal desinfizieren und auf eine Bierbank setzen. Dann steckt ein Mitarbeiter des Arbeiter-Samariter-Bundes im weißen Schutzanzug mit Gesichtsvisier und Maske den Rückkehrern ein langes Stäbchen in den Rachen. ›Den Würgereiz jetzt bitte ignorieren‹, sagt er. Die Probe kommt in ein Plastikröhrchen, die Reisenden dürfen ihres Weges ziehen. Das Ganze dauert keine fünf Minuten.«

Und dann das: 44 000 Reiserückkehrer erhielten trotz ihrer zum Teil Wochen zurückliegenden Coronatests noch kein Ergebnis. 900 wissen nichts von ihrer Infektion, haben inzwischen eine unkalkulierbare Zahl weiterer Personen angesteckt. Es habe Probleme bei der manuellen Übertragung von Daten gegeben, erklärte der Präsident des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Andreas Zapf. Söder steckt ihn jetzt ins Innenministerium, wo künftig die Federführung für die kommunalen Testzentren in Bayern liegen soll.

Manuelle Übertragung von Testdaten? Das rief umgehend die FDP auf den Plan, die Nachholbedarf bei der Digitalisierung der Verwaltung kritisierte und Konsequenzen forderte. Auch die SPD wollte solche sehen. »Frau Huml muss zurücktreten und Herr Söder muss sich erklären«, hatte Generalsekretär Uli Grötsch im Bayerischen Rundfunk gefordert. »Er muss Buße tun, weil er seiner Verantwortung schlichtweg nicht gerecht geworden ist und mit der Gesundheit der Menschen in Bayern gespielt hat.«

Seit vergangenem Wochenende herrscht eine bundesweite Testpflicht für Urlaubsrückkehrer - sie folgte dem Beispiel Bayerns, wo sich Reisende seit dem 25. Juli bei der Ankunft an den Flughäfen München und Nürnberg testen lassen konnten. Da war das Angebot noch freiwillig. Inzwischen gibt es Teststationen auch an den Hauptbahnhöfen München und Nürnberg sowie an mehreren Autobahnraststätten. Wer nicht aus einem Risikogebiet einreist, für den gilt die Freiwilligkeit noch immer, Urlauber aus Risikogebieten haben die Pflicht, sich testen zu lassen. Zum Durcheinander kommt die Debatte über die Kosten, denn für die Getesteten ist das Ganze kostenfrei. Niedergelassene Ärzte sehen die Pauschale von 15 Euro als eine »Missachtung unserer Arbeit«, wie es in einem Offenen Brief von 60 Hausärzten in Bayern hieß. »Haben wir keine Patienten zu versorgen? Sind unsere Praxen überhaupt baulich und personell in der Lage, neben dem regulären Praxisbetrieb eine kleine Teststation aufzubauen? Werden solche Fragen überhaupt in der Politik überlegt?«, hieß es im Schreiben.

Die Linke nannte Söder angesichts der Panne einen »Scheinriesen im Krisenmanagement«. Parteichefin Katja Kipping monierte, dass die schnelle Information der Getesteten nicht die gleiche Aufmerksamkeit erfahren habe wie die flächendeckenden Tests. »Das hätte Söder vorher wissen können.« Womöglich liegt auch darin eine Ursache des Problems: Anfänglich wurden die Teststationen von Hilfsorganisationen betrieben, inzwischen übernehmen nach und nach private Anbieter den Betrieb, auch, um die Datenübertragung zu digitalisieren. Mit Agenturen

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.