An der Kante zum Abgrund

Dauerkrise, Naziterror und trister Deutschrap: Zugezogen Maskulin ziehen mit ihrem neuen Album »10 Jahre Abfuck« Bilanz

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Irgendwann hat man als wacher Linker in diesem aktuellen Deutschland alle Gemütszustände hinter sich: die Empörung, den Hass, den Zynismus, die Ohnmacht, die Erschöpfung. Jeder erneut aufgeflogene Polizei-Nazi; jeder weitere Musiker, der mit neoliberalem Leistungsdenken, Verschwörungsideologien und brutaler Hypermännlichkeit Erfolge feiert; immer wieder belanglose, selbstreferenzielle und endlose Gesprächssimulationen in sozialen Medien - alles kann irgendwann nur noch mit Galgenhumor ertragen werden. Rauschzustände und gelegentliche Versuche, etwas Sinnvolles in dieser kaputten Welt der Dauerkrisen zu schaffen, durchstoßen gelegentlich den Nebel, schaffen sogar manchmal Kunst. Wie bei Zugezogen Maskulin.

Das Rap-Duo gehört zu den wachen Begleitern deutscher Realitäten der vergangenen Jahre. Von Sarrazin bis Hanau, vom gemeinsamen Praktikum beim Web-Projekt Rap.de unter Marcus Staiger über einen Labeldeal bei Buback bis zum ausgebuhten Konzert bei den offiziellen Einheitsfeierlichkeiten am Brandenburger Tor. Die beiden Künstler haben seit ihren Anfängen 2010 so einiges an Rechtsruck und »Verblödung«, wie sie selber sagen, miterlebt. Ihr Resümee und gleichzeitig Titel des nun erschienenen Albums: »10 Jahre Abfuck«. Klar wird: Der in der friesischen Provinz aufgewachsene Moritz »Grim104« Wilken sowie der aus Stralsund kommende Hendrik »Testo« Bolz haben nicht nur an Altersweisheit gewonnen - sie sind auch kriegsmüde geworden.

Die beiden Musiker berichten in ihrem neuen Album, produziert von Ahzumjot und Silkersoft, direkt von der Kante des Abgrundes. »Wenn die Schlagzeilen uns ins Mittelalter schreien / Armeen von Einzeltätern um die Wette knallen / Und keine Atemmaske mehr in den Regalen - dann lass dich fallen«, heißt es in »Tanz auf dem Vulkan«, womit dann auch das Narrativ der 13 Tracks vorgegeben wäre. Im Vergleich zu ihren früheren drei Alben wird der Hass den Hörern weniger direkt entgegengeschleudert, aggressive Mitgröl-Tracks weichen einem eher geschärften Blick auf das Leben unter wahnsinnigen Bedingungen. Finstere Abrechnung und Verstörung in Kombination mit atemberaubendem Tempo und klugen Gedanken bleiben.

Die Themen behandeln unter anderem die Umweltkatastrophe, seelische Probleme, Geschlechterbilder - und wie zuletzt häufiger bei ZM auch Fragen von Herkunft. »Die Nachfahren blieben beim Schießen und Marschieren / Und lernten sich an Störenfrieden abzureagieren / Stürmten die Zionskirche, brüllten ›Juden raus!‹ / Und warfen dann die Mollis in das Sonnenblumenhaus«, rappt Testo über den Angriff von rechtsradikalen Skinheads auf ein Konzert in der Ostberliner Zionskirche 1987 und die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992. Bolz beschäftigt sich schon länger mit tristen Verhältnissen und rassistischen Kontinuitäten in Ostdeutschland, ist mittlerweile für dort geborene Nachwendekids gar eine Inspirationsquelle geworden. Mit Sätzen wie »Es war nicht alles schlecht im Zeitalter des Menschen / Das Feuer gebändigt und den Hund gezähmt / jetzt können wir untergehen« greift wiederum Grim104 ironisch die Scheißegal-Haltung weiter Bevölkerungsteile gegenüber einem kollabierenden Ökosystem auf.

Mit größerer Erfahrung wachsen jedoch auch die Zweifel. Ein inhaltlicher Fokus der Tracks liegt diesmal auch beim eigenen Business, auf der schleichenden Entfremdung von der Musikindustrie. Die Distanz zu den Kunstfiguren und auch zur eigenen Rolle als hauptberufliche Rapper wird schonungslos thematisiert. Die Widersprüche strengen sichtlich an. Bürgerliche Feuilletonschreiber biedern sich an und nutzen ZM als Projektionsfläche; Oberflächlichkeit, Leistungsansprüche und Kommerzialisierungsdruck der Industrie müssen wiederum mit kreativen und gesellschaftskritischen Vorstellungen in Einklang gebracht werden. Doch was könnte beim Performer- und Macher-Kapitalismus die schlimmste Sünde sein? Im eigenen Erfolg nicht den ultimativen Sinn des Lebens zu sehen. »Heute bin ich selber einer dieser Rapper, ach du scheiße, ja so wollt ich niemals sein«, erklärt Testo. »Ich träume lange nicht mehr vom Ruhm, nur noch von dir und vom Exit«, fügt Grim104 hinzu. Unnötige Selbstbespiegelung? Eher eine ehrliche Bestandsaufnahme von Idealisten, die anfangen, den Spaß an der Sache zu verlieren. Und der Versuch linker U-Boote im »Rap-Game«, Handlungsfreiheit zu bewahren.

Auch wenn ZM nicht mehr richtig von ihrem Weg überzeugt scheinen - ihre Musik ist in den oftmals reaktionären Gefilden des Deutschraps weiter notwendig. Und wird es angesichts der anhaltenden Verrohung in Deutschland wohl auch bleiben. »Heute sitzen Fackeln und Mistgabeln wieder locker und Juden auf gepackten Koffern« rappt Testo in »10 Jahre Abfuck«. Für die kommenden zehn prognostiziert Grim104: »Revoltieren, Verbarrikadieren« sowie: »Hightechdrohnen und geschützte Zonen«. Angesichts der Aussichten freue er sich schon darauf, »die Balance zu verlieren«. Vielleicht - so die Hoffnung - kann man aber ja bis dahin doch noch ein bisschen gemeinsam an der Kante zum Abgrund tanzen. Da geht noch was.

Zugezogen Maskulin: »10 Jahre Abfuck« (Four Music/Sony Music)

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