Lernort Garnisonkirche eröffnet

Gegner des umstrittenen Wiederaufbaus informieren über die rechtsradikale Prägung des Projekts

  • Wilfried Neisse, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Gegner des weitgehend originalgetreuen Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche geben sich nicht geschlagen - erst recht nicht, da auf der Baustelle der Turm inzwischen eine beachtliche Höhe erreicht hat und das Stadtbild zu prägen beginnt. Am Sonnabend wurde unmittelbar daneben, im Kunst- und Kreativhaus im alten Rechenzentrum, ein »Lernort« eröffnet. Die Martin-Niemöller-Stiftung und die Universität Kassel haben dafür eine kleine Ausstellung gestaltet, die »kontinuierlich über die Geschichte des Ortes aufklären und über die oft verschwiegenen und verdrängten Dimensionen dieser Kirche sowie des Wiederaufbauprojekts informieren« soll. Mit ihnen zusammengetan haben sich das Komitee für preußische Leichtigkeit, die Profilgemeinde »Die Nächsten«, die Bürgerinitiative Potsdam ohne Garnisonkirche, der Bund »Christen brauchen keine Garnisonkirche«, der Antimilitaristische Verein Potsdam, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und das Bündnis »Potsdam - Stadt für alle«.

Die Ausstellung befindet sich in einem Raum und im Flur im Erdgeschoss des Kunsthauses. An einem Fenster ist ein Spiegel angebracht, durch den beobachtet werden kann, wie um die Ecke die Bauarbeiten am Garnisonkirchenturm laufen. Derweil überträgt die Stiftung Garnisonkirche jetzt mit zwei Webcams Bilder vom Wiederaufbau ins Internet. Die erste Kamera befand sich seit Beginn der Bauarbeiten im Jahr 2017 auf dem Dach der Industrie- und Handelskammer auf der anderen Straßenseite. Doch der Kirchturm ist mittlerweile so hoch gemauert, dass die Perspektive nicht mehr ausreicht, um alles zu sehen. Nun befindet sich eine zweite Kamera oben auf dem Hotel Mercure.

Wie Professor Philipp Oswalt von der Universität Kassel sagte, sind unter dem »Dach« des Lernortes nacheinander vier Ausstellungen geplant. Ab Sommer 2021 soll sich die zweite Ausstellung Otto Dibelius und dem protestantischen Nationalismus widmen. Die aktuelle erste Schau befasst sich mit rechtsradikalen Prägungen des in den 1980er Jahren initiierten Wiederaufbauprojekts.

Wie konnte es dazu kommen, dass 1991 mit Unterstützung von Politik und Kirche, unter dem Beifall von rechtsradikalen Kräften und unter schwarz-weiß-roten Fahnen ein Glockenspiel mit revanchistischen Widmungen in Potsdam aufgestellt wurde? Verantwortlich dafür macht Oswalt neben anderen auch die Stadtverordnete Saskia Hüneke (Grüne), die sich inzwischen besonnen hat und das Einschmelzen der Glockenspiels vorschlug. Gerd Bauz von der Niemöller-Stiftung sieht in dem Lernort auch ein Statement für den Erhalt des Rechenzentrums, das dem Wiederaufbau der Kirche eigentlich weichen soll.

Man solle die historische Kirche nicht länger fälschlich als »Ort des Widerstands gegen Hitler« preisen, forderte Oswalt. Die Darstellung, die Garnisonkirche sei von den Nazis nur »missbraucht« worden, sei nicht minder falsch. Ausdrücklich erwähnt wurde der spätere Bischof Otto Dibelius, der 1933 diese Kirche Hitler für eines seiner wirkungsvollsten Spektakel geöffnet hatte, und dessen Predigen als Unterstützung der »Machtergreifung« gedeutet werden müssten.

Wenn die Bundesregierung den Wiederaufbau zu 90 Prozent bezahle und von einem »nationalen Tafelsilber« spreche, dann schließe sie sich rechten Deutungen dieses Bauwerks an, sagte Oswalt. Auch die Befürworter des Wiederaufbaus haben eine Ausstellung am Fuße der Baustelle zusammengestellt, aber die »beschönigt die Geschichte«, meinte Oswalt.

In Gang gesetzt worden sei alles in den 1980er Jahren von Max Klaar, einem Oberstleutnant der Bundeswehr in Iserlohn, wo eine Nachbildung des Potsdamer Glockenspiels entstand mit Inschriften, die eine Traditionslinie von der Reichswehr über die Wehrmacht zur Bundeswehr dokumentieren. Dagegen habe die evangelische Kirche zunächst protestiert und 1993 den Wiederaufbau noch abgelehnt. Jetzt betreibt sie über ihre Stiftung Garnisonkirche genau dies. Auch wenn sich 2014 Kirche und Stiftung - wohlgemerkt sehr spät - von Max Klaar distanzierten, so habe sich dessen Geist immer noch nicht verflüchtigt. Alles Wesentliche, was von ihm für die Garnisonkirche geplant war, werde heute verwirklicht, tadelte Oswalt. »Es gab keine inhaltliche Neuorientierung. Die Flanke nach rechts ist weiter offengehalten worden.«

Auch Altbischof Wolfgang Huber besitze angesichts der Beweise nicht die Größe, sich zu korrigieren, kreiden Oswalt und Bauz ihm an. Die von Klaar für den Wiederaufbau eingesammelten Spenden habe die Stiftung Garnisonkirche zwar nicht erhalten, eine Millionensumme sei aber an andere Kirchen geflossen, darunter an die Nikolai-Kirchgemeinde, die nicht zufällig gegen das Abstellen des Potsdamer Glockenspiels protestiert habe. Nicht von ungefähr ähnelten Gedenkmünzen sehr denen aus der Nazizeit. Wenn die Garnisonkirche Vorschläge von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) für Änderungen an dem Bauprojekt zurückweise, dann ist das aus Oswalts Sicht deshalb »eine Dreistigkeit«, weil sie das Baugrundstück von der Stadt geschenkt bekommen hatte.

Lernort Garnisonkirche im Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum, Dortustraße 46 in Potsdam, montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr, am Wochenende ist ein Besuch auf Anfrage unter besuch@lernort-garnisonkirche.de möglich

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