Duterte unter Beschuss

Europäisches Parlament übt harsche Kritik am philippinischen Präsidenten. Der wittert »koloniale Allüren«

  • Rainer Werning
  • Lesedauer: 4 Min.

Schwere Zeiten für Rodrigo R. Duterte, der im Sommer 2016 mit wehenden Fahnen und vollmundigen Versprechungen die Präsidentschaft in dem südostasiatischen Inselstaat antrat. Er werde gründlich »aufräumen«, versprach ein damals zuversichtlicher Duterte, um endlich Korruption, Kriminalität und »traditionellen Politikern« mitsamt ihren Seilschaften einen Riegel vorzuschieben. Ja, er gedenke sogar, als erster sozialistischer Präsident in die Geschichtsannalen seines Landes einzugehen. Außenpolitisch werde er einen Schwenk weg von den USA vollziehen und sich fortan um die Schaffung einer Achse Manila-Beijing-Moskau bemühen. Von alledem ist nach reichlich vierjähriger Amtszeit, die offiziell im Sommer 2022 endet, nichts zu spüren.

Im Gegenteil: Den vorläufig letzten Tiefschlag musste das Regime in Manila am 17. September einstecken, als das Europäische Parlament in seiner jüngsten Resolution über die Lage in den Philippinen mit 626 Ja- und sieben Nein-Stimmen bei 52 Enthaltungen die zunehmend desolater werdende Menschenrechtssituation in dem Land kritisierte und mit einschneidenden juristischen und wirtschaftlichen Konsequenzen drohte. Zu Letzteren heißt es im Punkt 20 dieser Resolution wörtlich: Das Europäische Parlament »fordert die Europäische Kommission angesichts der Schwere der Menschenrechtsverletzungen in dem Land auf, unverzüglich das Verfahren einzuleiten, das zur vorübergehenden Rücknahme der APS+-Präferenzen führen könnte, da es keine wesentlichen Verbesserungen gibt und die philippinischen Staatsorgane keinerlei Kooperationsbereitschaft zeigen«. Gemeint ist das Allgemeine Präferenzsystem, wonach bestimmte Entwicklungsländer beim Export von über 6000 Produkten in die EU in den Genuss von Zollfreiheit beziehungsweise Zollsenkungen kommen.

Mit seiner Kritik am harschen »Antidrogenkrieg« Dutertes, der nach Darstellungen der philippinischen Nationalpolizei knapp 6000 Menschen das Leben kostete, doch laut internationalen Menschenrechtsorganisationen etwa 27 000 Opfer forderte, steht das Europäische Parlament nicht allein da. Auch der in Genf ansässige Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag haben wiederholt das Duterte-Regime angeprangert, systematisch Angst und Furcht zu säen sowie missliebige Regimegegner wie kritische Juristen, Geistliche und Menschenrechtsanwälte, Umweltaktivisten, engagierte Sozialarbeiter indigener Gemeinschaften, Gewerkschafter sowie exponierte Arbeiter- und Bauernführer im Rahmen eines staatlich sanktionierten »red-tagging«, einer systematisch geschürten antikommunistischen Hatz, »auszuschalten«. Allein im August wurden zwei prominente Linke ermordet, weil sie dem Regime seit Jahren ein Dorn im Auge waren - Randall Echanis, langjähriger Bauernführer und Berater des politischen Untergrundbündnisses der Nationalen Demokratischen Front der Philippinen (NDFP) bei den (mittlerweile von Duterte suspendierten) Friedensverhandlungen, und die in den Zentralphilippinen engagierte Bürgerrechtlerin und bekannte Friedensaktivistin Zara Alvarez.

Auf die neuerliche Kritik aus dem Ausland reagierte der Sprecher von Präsident Duterte, Harry Roque, wie von einer Tarantel gestochen. Am vergangenen Freitag bezichtigte Roque im Präsidentenpalast Malacañang zu Manila die Mitglieder des Europäischen Parlaments »kolonialer Allüren« und rief ihnen zu: »Nur zu! Nur zu! Wir müssen wohl akzeptieren, dass sich die Geschichte wiederholt.« Womit er auf die Vergangenheit seines Landes als spanische und US-amerikanische Kolonie anspielte. »Wenn Sie (die Europäer, d. Red.) den Filipinos während der Zeit einer Pandemie eine zusätzliche Belastung aufbürden wollen«, erklärte Roque wörtlich, »dann soll es so sein. Wir werden das als eine sich wiederholende Geschichte akzeptieren.«

Sodann bat der Regierungssprecher die philippinischen Botschafter in Europa um Hilfe, um die »Wahrheit« über die Menschenrechtssituation des Landes zu sagen, und warf im gleichen Atemzug den diplomatischen Vertretungen von EU-Ländern in Manila vor, »den größten Anteil an der Verletzung des Rechts auf Leben in den Philippinen zu haben«.

Roques Dienstherr hielt sich diesmal auffällig zurück. Bei früheren Anschuldigungen dieser Art zeigte der sich selbst als Macho bezeichnende Duterte seinen Kritikern gern den Stinkefinger, verfluchte sie wütend mit »Fuck you« und wünschte vor allem drei Frauen ein sofortiges Verschwinden im politischen Orkus - Agnès S. Callamard, Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, standrechtliche oder willkürliche Hinrichtungen im Amt des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte, Michelle Bachelet, Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, sowie Fatou Bom Bensouda, die gambische Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Er sähe sie lieber »erwürgt«, so Duterte, anstatt ihnen zwecks eigener Recherchen vor Ort die Einreise in die Philippinen zu gestatten.

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