Man muss dahin, wo es brodelt

Die Linke sollte dort präsent sein, wo sich die Widersprüche in der Krise zuspitzen, meint Philipp Möller.

  • Philipp Möller
  • Lesedauer: 3 Min.

Es sollte der Auftakt einer linken Alternative zu den rechtsoffenen Demonstrationen der Corona-Leugner werden. Am vergangenen Wochenende mobilisierte ein Bündnis aus linken Gruppen in fünf Städten zu einem Aktionstag unter dem Stichwort »Wer hat, der gibt«. Sie fordern Umverteilung durch höhere Erbschaftssteuern und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, Lohnerhöhungen in systemrelevanten Berufen und eine Vermögensabgabe für Millionäre. Corona verstärkt die ohnehin wachsende gesellschaftliche Spaltung. Die 1000 reichsten Familien in Deutschland vermehrten ihr Vermögen laut einer Studie des Wirtschaftsmagazins »Bilanz« trotz Krise um 0,76 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Viele Lohnabhängige in systemrelevanten Berufen sind dagegen mit verlängerten Arbeitszeiten konfrontiert, während andere Berufsgruppen Einkommenseinbußen durch Kurzarbeit verbuchen müssen. Prekäre Wohnverhältnisse werden zur Gefahr für die physische und psychische Gesundheit.

Dennoch blieb die Mobilisierung mit bundesweit rund 3000 Teilnehmern hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Gekommen waren vor allem Aktivisten aus der linken Szene. Überraschen sollte das nicht. Die am stärksten von der Krise Betroffenen erreichte das Bündnis nicht. Hartz-IV-Empfänger, Alleinerziehende, Beschäftigte in systemrelevanten Branchen oder Geflüchtete sind in linken Gruppen kaum repräsentiert. Nach 30 Jahren Neoliberalismus ist die untere Klasse weitestgehend demobilisiert. Das linksliberale Milieu, das bei identitäts- oder klimapolitischen Kämpfen mobilisiert werden kann und häufig der Mittelklasse entstammt, lässt sich für sozialpolitische Forderungen nur schwer hinter dem Ofen hervorlocken.

Dem Bündnis fehlen eine Orientierung auf Organisierung und die soziale Verankerung in Betrieben oder Stadtteilen. Die Forderungen nach Umverteilung bis hin zur Enteignung dort sichtbar zu machen, wo die Vermögenden wohnen, bleiben ohne reale Verbindungen zu den Betroffenen hilflos. Die eigene Marginalisierung kann die gesellschaftliche Linke nur durchbrechen, wenn sie dort aktiv wird, wo sich die Widersprüche in der Krise zuspitzen und sie eigene Alternativen aufzeigt. In der Vergangenheit rieben sich viele Stadtteilgruppen beim Versuch, eine soziale Verankerung in Nachbarschaften herzustellen, zwischen Sozialarbeit und politischem Aktivismus auf, und trafen auf die Apathie vieler sozial und kulturell Abgehängter. Dennoch scheinen Organisation und politische Präsenz jenseits der Komfortzone angesichts der Gefahr einer rechten Hegemonie bei der Krisendeutung unumgänglich. Ein Vorbild ist die populäre Mobilisierung der Berliner Mieterbewegung gegen große Wohnungsunternehmen, die als Krisengewinner ihren Aktionären üppige Dividenden ausschütten. Ein weiterer Lichtblick ist der durch die Freie Arbeiter-Union unterstützte Streik der Erntearbeiter im hessischen Bornheim.

Die aufkeimende Debatte um die Finanzierung der staatlichen Maßnahmen zur wirtschaftlichen Stabilisierung und die Steuermindereinnahmen in den Kommunen bieten weitere Ansatzpunkte für linke Interventionen. Die Auseinandersetzung, wer die Kosten der Krise zahlt, wird auf der lokalen Ebene bereits ausgetragen. In Berlin-Neukölln etwa drohen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe Kürzungen von über 850 000 Euro und die Schließung mehrerer Einrichtungen. Die aktuellen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst blieben in den ersten beiden Verhandlungsrunden zwischen Gewerkschaften und öffentlichen Arbeitgebern mit dem Verweis auf klamme Kassen ergebnislos. Gegen die Austerität wäre die Forderung nach einer Vermögensabgabe zur Finanzierung des öffentlichen Haushalts in Stellung zu bringen.

Doch bislang fehlt ein Schulterschluss mit Sozialverbänden, Parteien und Gewerkschaften, mit denen solche Positionen an erforderlicher Wirkmächtigkeit gewinnen könnten. Ob diese Kräfte in den kommenden Auseinandersetzungen für eine reale Umverteilung von Vermögen und Macht in die Bresche springen oder auf einen korporatistischen Kurs schwenken, hängt nicht zuletzt von ihrer Einbindung in die linke Mobilisierung ab.

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