SPD will unterirdisch bleiben

Designiertes Berliner Spitzenduo stellt Ausbaupläne für U-Bahn-Netz vor.

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.
Wollen mehr Tunnel für Berlin: Abgeordnetenhaus-Fraktionschef Raed Saleh (links), Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Bundesfamilienminsterin Franziska Giffey (alle SPD)
Wollen mehr Tunnel für Berlin: Abgeordnetenhaus-Fraktionschef Raed Saleh (links), Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und Bundesfamilienminsterin Franziska Giffey (alle SPD)

Action am U-Bahnhof Johannisthaler Chaussee in Berlin-Gropiusstadt am Freitagmorgen. Die Berliner Verkehrsbetriebe kontrollieren von allen Aussteigern die Fahrkarten. Ein Jugendlicher, gerade einem vollgesprühten Zug entstiegen, rennt weg, touchiert einen Kontrolleur, rennt wieder in die andere Richtung und wird schließlich an der Bahnsteigkante von vier Polizisten zu Boden gebracht.

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Am anderen Bahnsteigende kämpft Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) mit dem Fahrkartenautomaten. Von der dramatischen Szene mit dem Fluchtversuch des Schwarzfahrers hat sie nichts mitbekommen. Gemeinsam mit Raed Saleh, Chef der Abgeordnetenhausfraktion bildet sie die designierte Doppelspitze der Berliner SPD. Sie soll auch Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl im September 2021 werden und - sofern es das Wahlergebnis hergibt - Michael Müller auf dem Posten des Regierenden Bürgermeisters folgen.

In den Neuköllner Untergrund treibt es Giffey und Saleh, weil sie ihre Pläne für den Ausbau der Berliner U-Bahn, vorstellen wollen. Es geht nach um ein paar Minuten verlängerter Wartezeit - ein Zug ist ausgefallen - vier Stationen weiter zum Endbahnhof der U7 in Rudow. Dort präsentieren sie stolz die fünf von ihnen als sinnvoll erachteten Neubaustrecken. Die U3 soll um eine Station von Krumme Lanke bis zum S-Bahnhof Mexikoplatz verlängert werden, die U2 ebenfalls um einen Bahnhof bis Pankow-Kirche wachsen, die U8 das Märkische Viertel erreichen. Ganz groß denken die beiden bei der U7. Die nämlich soll von Rudow rund acht Kilometer bis zum neuen Flughafen BER verlängert werden, vom Rathaus Spandau wiederum einige Kilometer bis zur Heerstraße.

1,8 Milliarden Euro Kosten sind laut Nahverkehrsplan für diese Projekte veranschlagt, die SPD-Politiker kommen auf eine etwas niedrigere Summe. »Natürlich wird das Land Berlin es nicht alleine schaffen können«, räumt Giffey ein. Sie habe aber mit am Kabinettstisch der Bundesregierung gesessen, als beschlossen wurde, die Gemeindeverkehrsfinanzierung auszubauen.

»Das heißt, Berlin steht hier nicht alleine da, sondern es kann in großem Umfang Mittel nutzen«, so die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin. Der Bundesanteil bei der Förderung sei gerade auf 75 Prozent aufgestockt worden. »Und wenn es Projekte von überregionaler Bedeutung sind , dann sogar auf 90 Prozent«, sagt sie. Allerdings müsste es sich laut Gesetz dabei um die Reaktivierung einer Eisenbahnstrecke handeln. U-Bahnen, die rechtlich Straßenbahnen gleichgestellt sind, fallen nicht darunter.

Für den Endbahnhof Rudow, wo auf Busse zum Flughafen umgestiegen werden muss, malt der aktuelle Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) das Schreckgespenst einer »großen gelben Schlange« an die Wand, wenn künftig alle drei bis fünf Minuten ein Bus gen BER abfährt. »Für den Verkehr ist das ein Kollaps. Das wird ganz katastrophal«, so Hikel.

»Wenn man Klimaschutz groß denken will, muss man auch Maßnahmen unterstützen, die groß sind. Nicht ideologisch sagen: Wir wollen es nicht, weil wir es nicht wollen«, sagt Raed Saleh. Dann wird er wohl auch ein ernstes Wörtchen mit dem Fachausschuss Mobilität der Berliner SPD sprechen müssen. Auf den Tag genau vor einem Jahr hat dieser ein Papier veröffentlicht, das den dramatischen Instandhaltungsrückstau im Bestandsnetz der U-Bahn thematisiert. Milliarden müssen in die Ertüchtigung fließen. »Deshalb verbietet es sich, die Planungs- und Baukapazitäten und die Berliner Finanzen mit U-Bahn-Ausbaufantasien zu belasten«, heißt es dort.

»Natürlich muss auch in die Sanierung der Strecken investiert werden, das ist gar keine Frage«, entgegnet Giffey. »Wenn wir aufzeigen wollen: Wo will Berlin eigentlich hin, auch in zehn Jahren?, dann wird es nicht reichen zu sagen: Wir machen nur alles hübsch.« Sie stellt klar, dass sie sich nicht nur auf den U-Bahn-Ausbau konzentrieren will. »Die Stadt hat ein Straßenbahnkonzept, das muss vorangebracht werden, das Radnetz muss genauso vorangebracht werden.«

»Unseren Vorschlag machen wir auf der Grundlage einer realistischen Abschätzung von Kosten, von Fördermöglichkeiten, von zeitlichen Rahmenbedingungen«, beharrt Giffey. »Wir wollen das in zehn Jahren«, sagt Raed Saleh. Das scheint angesichts von acht Jahren, die Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) allein für Planung und Bau einer Straßenbahnstrecke veranschlagt, dann doch arg optimistisch. Das zeigt auch der Bezug, den er mit der Bezeichnung »u2030« für den Plan zum Eisenbahnausbauprojekt »i2030« herstellt. Viele der Maßnahmen sollen erst Ende der 30er Jahre beendet werden.

»Bei den Verlängerungen von U3 und U2 können wir noch mitgehen«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB zu »nd«. »Was Berlin braucht, ist eine flächendeckende Verbesserung des Nahverkehrs. Und das geht nur mit deutlichem Ausbau der Straßenbahn und schneller Beschleunigung des Busverkehrs. Punktuelle U-Bahn-Neubaustrecken für viel Geld helfen nicht weiter«, so Wieseke.

Giffey holt die große politische Keule raus: »Ich halte diesen Gedanken einer vollkommen autofreien Innenstadt für wirklichkeitsfremd«, sagt sie in Richtung der Grünen. Es dürfe keine »virtuelle Mauer« um die Innenstadt errichtet werden. Sie meint die Überlegungen zu einer City-Maut, also einer Einfahrgebühr für Autos ins Zentrum. »Wir wollen eine Stadt, in der Menschen nicht überlegen müssen: Kann ich es mir heute leisten, in die Innenstadt zu fahren?«

Laut einer aktuellen repräsentativen Umfrage von RBB und »Berliner Morgenpost« würde die SPD bei der Abgeordnetenhauswahl derzeit gleichauf mit der Linken auf 15 Prozent der Stimmen kommen, die Grünen lägen mit 26 Prozent auf Platz eins. Die CDU käme auf 22 Prozent. 51 Prozent der Befragten und 71 Prozent der SPD-Anhänger würden sich Giffey als Regierende Bürgermeisterin wünschen.

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