Demokratische Reformen in Gefahr

In Kirgistan protestiert die Opposition gegen die Ergebnisse der Parlamentswahlen

  • Othmara Glas, Almaty
  • Lesedauer: 3 Min.

Dicht gedrängt stehen die Menschen am Montag im Stadtzentrum von Bischkek. Sie sind wütend, fühlen sich betrogen. Einige halten Schilder hoch, auf denen steht: »Uns kann man nicht kaufen«. Andere skandieren: »Hau ab!« und richten sich damit an Kirgistans Präsidenten Sooronbaj Dscheenbekow und seine Regierung.

Bereits in den Wochen vor der Wahl am 4. Oktober wurden die Stimmen, die eine Manipulation der Wahlen beklagten, immer lauter. Als dann am Sonntagabend die ersten vorläufigen Ergebnisse vorlagen, riefen gleich mehrere Oppositionsparteien zu Kundgebungen auf und forderten Neuwahlen.

Nach der maschinell erfolgten Stimmauszählung haben es vier Parteien ins Parlament geschafft. Wahlsieger ist demnach die präsidententreue Partei Birimdik mit 24,5 Prozent der Stimmen. Sie gilt als Nachfolgerin der bisher regierenden Sozialdemokratischen Partei, die sich infolge eines Machtkampfes zwischen Präsident Sooronbaj Dscheenbekow und seinem Vorgänger selbst zerlegte. Auf dem zweiten Platz landet die als liberal geltende Oligarchenpartei Mekenim Kirgistan mit 23,9 Prozent. Außerdem haben die Parteien Kirgistan (8,8 Prozent) und Bütün Kirgistan (7,1 Prozent) wohl den Einzug ins Parlament geschafft. Von den 3,3 Millionen Wahlberechtigten haben gerade einmal 56,5 Prozent ihre Stimme abgegeben.

Weder Birimdik noch Mekenim Kirgistan waren bisher im Parlament vertreten. Für die Oppositionspartei Bütün Kirgistan wäre es ebenfalls das erste Mal in der Legislative. Drei bisher im Parlament vertretene Parteien sind hingegen an der Sieben-Prozent-Hürde gescheitert. Den Ergebnissen der automatischen Stimmauszählung stehen allerdings noch die Resultate der manuellen Auszählung gegenüber. Bis zum späten Montagnachmittag war gerade einmal die Hälfte der Stimmzettel ausgezählt. Demnach hätten es sogar nur Birimdik, Mekenim Kirgistan und Kirgistan ins Parlament geschafft. Die endgültigen Wahlergebnisse werden erst in den kommenden Tagen bekannt gegeben.

Präsident Dscheenbekow hatte sich im Wahlkampf neutral verhalten, allerdings dürften seine Sympathien wohl bei der Partei Birimdik liegen, der sein jüngerer Bruder Asylbek angehört. Mekenim Kirgistan gilt als Partei des Matraimow-Clans, der beachtlichen Einfluss in Kirgistan hat. Das Oberhaupt der Familie, Rajimbek Matraimow, machte im vergangenen Jahr Schlagzeilen, als investigative Journalisten herausfanden, dass der frühere hochrangige Zollbeamte umgerechnet knapp 600 Millionen Euro unterschlagen hatte.

Schon vor den Parlamentswahlen war es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Staatsangestellte beschwerten sich, dass ihnen mit Entlassung gedroht worden sei, wenn sie nicht für Birimdik oder Mekenim Kirgistan stimmten. Außerdem gab es etliche Berichte, dass in großem Stil Stimmen gekauft wurden. Trotzdem zweifeln nun nicht nur die Wahlverlierer die Ergebnisse an. »Es waren schmutzige Wahlen«, sagte Iskender Matraimow am Sonntagabend. »Nach unserer Berechnung hätten wir mehr Stimmen erhalten müssen.«

Dass gestern Tausende dem Aufruf der Oppositionsparteien folgten, kam für viele Beobachter überraschend. Nach der Tulpenrevolution 2005 und einem blutigen Regierungsumsturz 2010 wirkten die Kirgisen müde. Dabei hatte das Land nach einer Verfassungsänderung vor zehn Jahren ein parlamentarisches Regierungssystem eingeführt. Dass dem Parlament mehr Macht als dem Präsidenten eingeräumt wurde, brachte Kirgistan schließlich den Ruf als »Zentralasiens Insel der Demokratie« ein. Tatsächlich galten auch die vergangenen Parlamentswahlen 2015 als die bisher freiesten.

Dieses Erbe sehen nun anscheinend viele in Gefahr. Bis Redaktionsschluss hatten sich etwa 4000 Menschen in Bischkek und anderen Städten friedlich versammelt. Es sind die größten Proteste seit zehn Jahren. Dabei schauen die Kirgisen wohl auch nach Belarus, wo bereits seit Wochen die Menschen nach gefälschten Präsidentschaftswahlen auf die Straßen gehen.

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