»Chaos statt Räumung«

Bewohner*innen des feministischen Hausprojekts »Liebig34« rufen zu dezentralen Aktionen auf

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 7 Min.

Am Freitag soll die »Liebig34« geräumt werden. Was erwarten Sie von den nächsten Tagen?
Man merkt, dass sich die Situation zuspitzt. Wir konnten zwar die Demo am Samstagabend laufen und am Sonntag unseren Tanz auf den Barrikaden machen, aber die Bullen sind in manchen Situationen komplett ausgerastet. Dass die Polizei versucht, uns zu zermürben, haben wir auch bei unserer Pressekonferenz am Dienstag gesehen. Ein Kollektivmitglied wurde brutal festgenommen, weil sie einen Helm aufhatte. Jetzt wird es ganz ungemütlich.

Sind Sie auf Eskalation und Auseinandersetzungen mit der Polizei vorbereitet?
Auf jeden Fall. Es werden viel mehr Bullen sein als beim Nazi-Aufmarsch am Samstag. Das zeigt mal wieder die Relation, wie gegen Nazis vorgegangen wird und wie gegen uns. Wir sind auf jeden Fall vorbereitet. Es war von vornherein klar, dass sie ein Exempel statuieren wollen. Die Räumung wird richtig heftig.

Lisa Kaminski

Die 25-Jährige ist seit drei Jahren Teil des Liebig34-Kollektivs. Das seit 30 Jahren bestehende anarcha-queerfeministische Hausprojekt in Berlin-Friedrichshain soll am Freitagmorgen um 7 Uhr geräumt und an den Eigentümer Gijora Padovicz übergeben werden.

Mehr als 2500 Polizist*innen sollen dafür eingesetzt werden, ab Donnerstag wird die Umgebung des Hauses zur Sperrzone. Aktivist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet und dem Ausland haben dagegen Widerstand angekündigt. Mit Marie Frank hat Lisa Kaminski über die geplanten Aktionen am Tag der Räumung gesprochen und darüber, wie es für die Bewohner*innen weitergeht.

Wie ist denn die Stimmung im Kiez, gibt es Solidarität, oder haben die Leute Angst?
Wir haben viele Nachbar*innen, die vorbeikommen, um noch mal Tschüss zu sagen. Vorhin habe ich mit einer Frau geredet, die meinte, die letzten Tage sei sie sehr wütend gewesen, heute möchte sie einfach nur weinen. Und das ist ein bisschen auch so die Stimmung im Kiez.

Ein Nachbar kommt an dem Haus vorbei und wünscht viel Glück für Freitag.

Also wir sehen es ja hier. (lacht) Es zeigt sich, dass die Liebig34 mehr als nur das Kollektiv ist. Es sind auch die Leute, die hier im Kiez wohnen.

Das klingt schon sehr nach Abschied. Sie gehen also nicht davon aus, dass die Räumung noch verhindert werden kann?
Natürlich gehen wir davon aus, dass wir die Räumung verhindern können! Wir werden sie mit allen Mitteln verhindern. Aber natürlich ist es auch einschüchternd zu hören, dass die mit 5000 Bullen kommen wollen. Da müssen wir auch ein bisschen realistisch bleiben. Aber wir versuchen unser Bestes und wir glauben, dass viele Leute kommen und das ebenfalls tun werden.

Haben Sie etwas aus der Räumung der Kiezkneipe »Syndikat« vor ein paar Wochen gelernt? Was könnte besser laufen?
Ja. Wir werden zum Beispiel nicht am Abend davor hier im Kiez mobilisieren, weil wir beim Syndikat gesehen haben, dass dann die Masse an Menschen irgendwann abnimmt. Wir haben entschieden, dass es am besten ist, in den Morgen hinein, also direkt in der Nacht zu mobilisieren. Trotzdem sind die Räumungen nicht zu vergleichen, allein weil wir hier in einem Gefahrengebiet sind. Es wird schon seit Ewigkeiten gegen die Projekte gehetzt, die Situation ist medial sehr aufgeladen. Und wir sind keine Kneipe, sondern ein feministisches Wohnprojekt, wir müssen ein ganzes Haus verbarrikadieren.

Was ist der Plan für den Tag der Räumung?
Wir planen ab 3 Uhr morgens Kundgebungen im Kiez, am Bersarinplatz und am Forckenbeckplatz. Unser Fokus ist aber die dezentrale Aktion. Es gibt zwar Orte, wo Leute hinkommen können und wo sie vom Demonstrationsrecht geschützt sind, schließlich sind viele nicht organisiert oder nicht dazu in der Lage, dezentral unterwegs zu sein. Aber uns ist vor allem wichtig: Chaos statt Räumung. Am allerbesten wäre natürlich, wenn die Bullen bei ihrer Zufahrt blockiert werden. Wir werden auf jeden Fall nicht explizit in den Nordkiez aufrufen. Es wäre gut, woanders zu sein, im eigenen Kiez zum Beispiel.

Ab Donnerstag werden die Straßen und Plätze rund um die Liebigstraße 34 ja eh zur Sperrzone, Kitas machen dicht.
Es ist alles komplett absurd.

Zwei Demo-Sanitäter*innen fragen, wo sie sich am Freitag am besten positionieren sollen.

Wenn die Räumung schon nicht verhindert werden kann, geht es also darum, den Preis in die Höhe zu treiben?
Genau. Es gab den Vorschlag einer autonomen Gruppe, 34 Millionen Euro Sachschaden zu verursachen. Ich glaube, wir sind schon ganz gut dabei. Mal sehen, wie es noch wird.

Das Konzept, den Preis in die Höhe zu treiben, gibt es ja schon länger. Und dann kommt trotzdem die nächste Räumung. Ist das noch eine zeitgemäße Strategie?
Es ist eine gute Strategie, um die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen. Das ist natürlich einerseits der Eigentümer Gijora Padovicz, der einen hohen Preis zahlen muss, weil er viele Immobilien hat, die in der Vergangenheit auch schon häufig angegriffen wurden. Auch Baustellen wurden immer wieder angegriffen, um zu zeigen: Du willst jetzt zwar hier Profit machen, aber woanders versuchen wir es dir unmöglich zu machen. Das ist wichtig, aber man muss natürlich auch immer das große Ganze betrachten. Das Problem heißt immer noch Kapitalismus. Dass jetzt unser Haus geräumt wird, diese Gentrifizierung, ist Teil des kapitalistischen Apparats. Und wenn wir versuchen, die kapitalistische Maschinerie ein bisschen zu stören, ist das schon relativ viel. Ob das zeitgemäß ist, kann ich nicht sagen – wir hätten an vielen Punkten andere Entscheidungen treffen können, mehr mit Politiker*innen zusammenarbeiten, ein bisschen zahmer sein, aber wir haben es so gemacht und sind okay damit.

Hätte es denn Möglichkeiten gegeben, es gar nicht erst zur Räumung kommen zu lassen? Durch Kooperation mit der rot-rot-grünen Landesregierung etwa?
Uns war von vornherein klar, dass wir überhaupt nichts vom rot-rot-grünen Senat erwarten, weil auch schon andere Sachen geräumt worden sind, mit denen wir solidarisch sind, zum Beispiel die Ohlauer Schule oder andere Besetzungen. Deswegen haben wir auch nie eine Strategie gefahren, mit denen in Gespräche zu kommen. Und bei der Liebig34 geht es ja nicht nur um ein Haus. Es geht um Anarcha-Queerfeminismus, um einen widerständigen Charakter, der aus der Defensive rauskommt und das Patriarchat angreift. Nicht einen Kuschelfeminismus, der sich dem Kapitalismus anbiedert. Wir verlieren vielleicht ein Haus, aber nicht unsere Leidenschaft, die Idee, die dahintersteckt. Viele Menschen haben dadurch erfahren, was es für Alternativen gibt im Leben: Selbstverwaltung, Feminismus, antipatriarchaler Kampf.

Die Liebig ist nicht das einzige Projekt, das geräumt werden soll. Können linke Freiräume überhaupt noch erhalten werden?
In Berlin gibt es eine krasse Aufrüstung gegen linke Freiräume. Deswegen wird alles schwierig gerade. Aber wir dürfen nicht aufgeben und müssen Räume wiedererlangen. Eine Bewegung wie #besetzen ist daher sehr wichtig, auch wenn wir keinen Raum erhalten konnten. Aber es zeigt: Die Leute geben nicht auf, es geht immer weiter.

Sind Besetzungen angesichts der Räumungen noch ein Konzept für die Zukunft?
Man muss einfach weitermachen. Und immer neu analysieren und auswerten, wie man Besetzungen auch anders machen kann. Etwa statt Symbolbesetzungen längerfristig zu planen und zu versuchen, juristische Schlupflöcher zu finden. Hier passiert gerade sehr viel. Es geht beim Besetzen ja auch darum, Eigentum zu hinterfragen.

Wie geht es für die Bewohner*innen weiter, falls geräumt wird? Jetzt in der Coronakrise ist es ja nicht leichter geworden, ein Dach über dem Kopf zu finden.
Wir haben erst mal alle Leute untergebracht, wenn es auch für viele nur Übergangslösungen sind. Danach müssen wir weitersehen. Aber wir sind ja weiterhin ein Kollektiv und übernehmen die Verantwortung, füreinander zu sorgen.

Wollen sich die Bewohner*innen neue Räume suchen?
Konkrete Überlegungen gibt es noch nicht. Wir müssen erst mal den Freitag schaffen.

Was hätte man besser machen können?
Was wir versäumt haben, ist, mehr auf die Mieter*innen-Proteste zuzugehen. Auf der »Mietenwahnsinn«-Demo waren 40 000 Menschen, das war ein großes Potenzial. In Berlin ist das ein riesengroßes Thema, das viele Leute beschäftigt. Das wäre ein Punkt gewesen, raus aus seiner kleinen Blase zu kommen. Aber das kann ja noch kommen. Es gibt auch patriarchale Verdrängung – hier einen feministischen Standpunkt reinzubringen, wäre auf jeden Fall interessant.

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