Seismograph für Konflikte

Doris Liebscher leitet die neue Ombudsstelle gegen Ungleichbehandlung

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Doris Liebscher lässt keinen Zweifel an ihrer Position aufkommen: »Ich stehe ganz klar an der Seite der Menschen, die im Kontakt mit Behörden oder Einrichtungen des Landes Berlin Diskriminierungserfahrungen machen«, betont die frischgebackene Leiterin der neu eingerichteten Ombudsstelle der Landesstelle für Gleichbehandlung - gegen Diskriminierung (LADS). In Anwesenheit von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) stellte die promovierte Juristin am Donnerstag sich selbst und ihre zukünftige Arbeit vor.

Die Ombudsstelle unterstützt und berät Personen kostenfrei bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Auf der Grundlage des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG), das im Juli dieses Jahres in Kraft getreten ist, wird dann zuerst geprüft: Entspricht die Beschwerde einem der 13 Diskriminierungsgründe, die im Abschnitt 2 des LADG aufgeführt sind? So schützt das Gesetz unter anderem vor Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, einer rassistischen oder antisemitischen Zuschreibung, der Sprache, der Religion oder Weltanschauung. Doris Liebscher erklärt entlang von bereits eingegangenen Beschwerden, dass darunter zum Beispiel eine Gefangene buddhistischen Glaubens falle, der eine Buddha-Figur verweigert werde, während für christliche Häftlinge Gottesdienste und Seelsorge angeboten würden. »Aber auch die Rollstuhlfahrerin, die sich über die Beschimpfung durch einen genervten Busfahrer beschwert, ist ein Fall für das LADG«, so die Juristin. Denn Menschen, die sich mit einer Behinderung, einer chronischen Erkrankung, oder aufgrund ihres Alters benachteiligt sehen, können sich ebenfalls auf das Gesetz berufen. 102 Eingaben sind seit dem 1. Juli laut der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung bereits eingegangen. Ein Drittel hätten Anlass zur weiteren Prüfung gegeben. Zu den dabei erwähnten öffentlichen Stellen zählen unter anderem die Berliner Verkehrsbetriebe, Schulen, Wohnungsbaugesellschaften sowie Bezirks- und Finanzämter. In 15 Fällen geht es um die Berliner Polizei.

Viele Anfragen betreffen das Gesetz hingegen nicht, erklärt die Leiterin der neuen Stelle: »Wir beraten nicht bei Gerichtsentscheidungen oder Entscheidungen der Jobcenter, die als diskriminierend empfunden werden.« Auch wenn es um den Arbeitsplatz geht, greift nicht das LADG, sondern das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) des Bundes. In solchen Fällen verweise die Ombudsstelle dann auf die dafür zuständigen Beratungen, von denen es laut Liebscher in Berlin ein sehr großes und sehr gutes Netzwerk gebe. Deren Kompetenz, zusammen mit den spezifischen Möglichkeiten der Ombudsstelle, Akten einzusehen, Behörden zur Auskunft zu verpflichten und Entscheidungen zu beanstanden, ermögliche es, Diskriminierung tatsächlich zu erfassen und zu bekämpfen. »Die Ombudsstelle ist ein Seismograph für gesellschaftliche Konflikt- und Ungleichheitslagen - Beschwerden sind eine Chance, Probleme zu sehen«, zeigt sich die 1974 geborene Juristin überzeugt.

Sie gilt als ausgewiesene Expertin in Sachen Antidiskriminierung. Schon 2005 hat sie in Leipzig das »Antidiskriminierungsbüro Sachsen« mitgegründet, eine der ersten derartigen Beratungseinrichtungen bundesweit überhaupt. An der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität war sie am Aufbau der »Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte« beteiligt. Zuletzt wurde sie für ihre Promotion zum Rassebegriff im Grundgesetz und im US-amerikanischen Verfassungsgesetz ausgezeichnet. Zivilgesellschaftlich Engagierte kennen sie von ihrem Einsatz für Initiativen wie das NSU-Tribunal und die Forderungen nach Auseinandersetzungen mit der Frage, inwieweit institutioneller Rassismus die Aufdeckung und Aufklärung der NSU-Morde verhindert hat.

Auch Senator Behrendt lobt ausdrücklich Expertise und Erfahrung der Volljuristin, die sich gegen neun weitere Bewerber*innen durchgesetzt hat: »Ich glaube, es wäre schwer, eine geeignetere Person für diese Aufgabe zu finden«, erklärt der Grünen-Politiker zu ihrer Einführung.

»Wie beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz wird es auch beim Landesantidiskriminierungsgesetz keine Klagewelle geben«, ist Liebscher überzeugt. Die Erfahrung mit dem AGG zeige, dass sich stattdessen ein Bewusstsein einstellen werde, dass es Diskriminierung gibt. Es sei möglich, damit professionell und sachlich umzugehen, meint die Expertin. Daher sehe sie ihre Aufgabe auch darin, »die Berliner Verwaltung dabei zu unterstützen, mehr Handlungssicherheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Diskriminierung zu bekommen«.

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