In der Party-Metropole gehen die Lichter aus

Seit dem Wochenende gilt in Berlin die neue Sperrstunde für Bars und Kneipen

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 4 Min.

Samstagabend um 22.53 Uhr am Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte. Der Besitzer eines Spätis an der Ecke Weinbergsweg klappt hastig Tische und Stühle vor dem Laden zusammen. Vor seinem Geschäft steht eine fünfköpfige Gruppe etwas unschlüssig auf dem Bürgersteig herum. Zwei Frauen Mitte Zwanzig sprechen den Späti-Besitzer an. »Können wir bitte noch einmal ganz kurz rein, noch ist doch etwas Zeit«, sagt eine der Frauen zu dem Mann. Die beiden wollen sich drinnen noch rasch ein Bier und eine Flasche Sekt kaufen, wie es heißt. Der Verkäufer, der einen Mund-Nasen-Schutz trägt, macht die eigentlich schon geschlossene Tür noch einmal auf. »Sucht euch bitte ganz schnell was aus, gleich muss ich zu machen, die sind hier streng mit der Kontrolle«, flüstert er den beiden Frauen beim Hineingehen zu.

Dann bittet der Mann die Gruppe, sich von seinem Späti zu entfernen. »Leute, nicht böse gemeint, aber ich will hier keinen Ärger.« Die Gruppe wechselt brav die Straßenseite. Nach nur wenigen Minuten gehen in dem Laden auch schon die Lichter aus. Es ist jetzt Punkt 23 Uhr. Sperrstunde für Berlin.

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Man merkt, dass es bereits die zweite Nacht mit der zur Eindämmung der Corona-Pandemie verordneten Schließzeit ist. Am Rosenthaler Platz, einem beliebten Anlaufpunkt für Nachtschwärmer, haben alle Restaurants und Bars pünktlich ihre Gäste vor die Tür gesetzt.

Bereits am Freitag um Mitternacht war die neue Sperrstunde in der Hauptstadt in Kraft getreten. Von 23 bis 6 Uhr müssen nun alle Lokale geschlossen bleiben. Alkohol darf nicht mehr ausgeschenkt werden. Bei Verstoß droht ein saftiges Bußgeld von 5000 Euro. Die Maßnahme gilt bis Ende des Monats. Mindestens.

Während in den Szene-Bars am Rosenthaler Platz die Vorhänge zugezogen sind und das Personal mit dem Aufräumen beschäftigt ist, bedient ein Dönerimbiss noch eifrig Kunden. Die Sperrstunde gilt seit gut 20 Minuten. Die Mitarbeiter müssen sich beeilen. Immer wieder fahren Polizeistreifen vorbei. Auch ein Wagen des Gesundheitsamtes war schon da. Angehalten hat er nicht. Dafür hat sich ein Bereitschaftswagen der Polizei positioniert. Die Beamten überwachen das Treiben auf dem Platz.

»Man ey, und ich dachte, wir hätten wenigstens noch ein Stündchen«, sagt ein junger Mann, der sich Tobias Rüdiger nennt. Mit drei Kumpels war der 27-Jährige extra mit einem Taxi zum Rosenthaler Platz gekommen, um in seiner Lieblingsbar »Sharlie Cheen« einen Cocktail zu trinken. »Ich wusste nicht, dass heute schon ab 23 Uhr alles dicht ist.«

Die Gruppe überlegt, was sie noch machen können. Wahrscheinlich geht es zu Fuß zu einem der Jungs nach Hause. »Sperrstunden kenne ich aus England«, sagt Rüdiger. »Wobei mir natürlich klar ist, dass es hier nicht um Schikane oder politische Entscheidungen geht, sondern um die Bekämpfung von Corona.« Grundsätzlich stehe er hinter der Maßnahme. Auch seine Kumpels nicken. »Es war schon einfach krass, wie es hier am Rosi noch vor einer Woche aussah.«

Letzen Samstag, so erzählt er, habe man in seiner Lieblingsbar noch eng an eng gesessen und getrunken. Ein Türsteher hätte zwar zunächst die Personenzahl in dem Lokal kontrolliert, doch irgendwann habe das keine Rolle mehr gespielt. In den anderen Bars sei das ähnlich gewesen, sagt der junge Mann. »Wir können in einer weltweiten Pandemie einfach nicht so leben und so feiern wie sonst, das ist leider so«, sagt er, bevor er sich zusammen mit seinen Kumpels verabschiedet.

Auch die Politik ist inzwischen zu dieser Überzeugung gelangt. Mit Sperrstunde und Kontaktbeschränkungen versucht Rot-Rot-Grün in Berlin nun, den stark ansteigenden Corona-Zahlen Herr zu werden. In anderen Großstädten gelten ähnliche Maßnahmen. Virologen halten das für sinnvoll. Geschlossene Räume mit vielen Menschen, Musik und Alkohol seien prädestiniert für Superspreader-Events. Den Wirten und Geschäftsinhabern, die sich am Wochenende nach Angaben der Polizei wie am Rosenthaler Platz weitgehend an die neue Schließzeit gehalten haben, verspricht Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) schnell weitere finanzielle Unterstützung. Bereits Anfang nächster Woche solle das Programm beschlossen werden.

Auch der Fall der Sperrstunde ist noch nicht vom Tisch. Mehrere Gastronomen haben einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht eingereicht, um gegen die aus ihrer Sicht unverhältnismäßige Einschränkung vorzugehen. Eine Entscheidung wird in dieser Woche erwartet.

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