Einen Steinwurf von Nordkorea entfernt

China gedenkt an den Eintritt in den Koreakrieg vor 70 Jahren, Pjöngjang an die Parteigründung vor 75 Jahren

  • Fabian Kretschmer, Dandong
  • Lesedauer: 4 Min.

In Dandong gleicht die Erinnerungskultur an den Koreakrieg einer nostalgischen Kirmes: Während vor den Stufen des neu eröffneten Gedenkmuseums, einem überdimensionalem Betonbau auf 182.000 Quadratmetern, patriotische Militärmusik aus den Lautsprechern dröhnt, setzen rund 20 Frauen vom örtlichen Kader der Kommunistischen Partei zum Marsch an. Sie haben sich in khakifarbene Uniformen gekleidet, die Gesichter weiß geschminkt und posieren mit demon-strativ ernster Mine vor den Kameras der schaulustigen Menge. Auf Wunsch eines Touristen zielt eine der Schauspielsoldatinnen mit ihrem Sturmgewehr in das Kameraobjektiv, eine weitere Dame reiht sich mit einer Handgranate ins Foto.

Die tatsächliche Tragik des Koreakriegs, bei dem vier Millionen Menschen ihr Leben verloren haben, lässt sich im Inneren des Museums erleben: Vor genau 70 Jahren schlossen sich die chinesischen Truppen den nordkoreanischen Streitkräften an, um gegen Südkorea und die Vereinigten Staaten zu kämpfen. Die jeweilige Geschichtsschreibung ist immer auch ein politischer Gradmesser: In Pjöngjang spricht man vom »Vaterländischen Befreiungskampf«, der angeblich von einem Überraschungsangriff der Südkoreaner gestartet wurde. Im Seoul hingegen wird das im Westen anerkannte Narrativ gelehrt, dass Nordkoreas Staatsgründer Kim Il Sung mit seiner Invasion den Konflikt vom Zaun brach. In der chinesischen Grenzstadt Dandong hingegen wählten die Historiker einen Mittelweg: Am 25. Juni 1950 sei »ein Bürgerkrieg ausgebrochen«, heißt es auf einer der unzähligen Gedenktafeln.

Nur wenige Kilometer entfernt, an der Uferpromenade des Yalu-Flusses, tummeln sich Hunderte Touristen, um Fotos von der anderen Seite zu schießen. Dort nämlich liegt Nordkorea - ein für Chinesen nostalgischer Ort, der an die entbehrungsreichen Zeiten des letzten Jahrhunderts erinnert. Bis vor wenigen Jahren zeigte sich entlang der Grenze das wohl krasseste Wohlstandsgefälle weltweit: Auf der einen Seite die nachts von Neonlichtern angestrahlten Einkaufszentren und Apartmenttürme, auf der anderen Seite ein stockfinsteres Niemandsland. Doch mittlerweile haben die Nordkoreaner in der Grenzstadt Sinuiju ebenfalls imposante Immobilienprojekte hochgezogen: Der »Einheitsturm«, ein rot angestrichener Rundbau mit über 25 Stockwerken, ragt weit in den Himmel empor. Doch ein Blick mit dem Fernglas entlarvt die scheinbar prosperierende Fassade: Mehrere Stockwerke liegen regelrecht brach, sind von innen unverputzt und ohne Fenster.

Zumindest militärisch kann Kim Jong Un noch Stärke zeigen, wie er am Samstag bei der wichtigsten Militärparade in der Geschichte des Landes demonstrierte: Anlässlich der Feierlichkeiten zum 75. Geburtstag der nordkoreanischen Arbeiterpartei präsentierte das Militär auf dem nächtlich beleuchteten Kim-Il-Sung-Platz die wohl größte Langstreckenrakete der Welt. Knapp 26 Meter ist sie lang, über zweieinhalb Meter im Durchmesser. Laut ersten Schätzungen von Militärexperten aus Washington könnte jenes Raketenmodell eine Sprengladung von bis zu 3500 Kilogramm stemmen.

Kims Ansprache war jedoch der ganze Gegensatz zum militärischen Säbelrasseln: In einem grauen Anzug gekleidet, rang er sichtlich um seine Fassung. Als er den Soldaten dafür dankte, das Land bislang virusfrei gehalten zu haben, rannen Tränen seine Wangen herunter. »Ich schwöre erneut, dass ich dem Vertrauen der Menschen gerecht werde, selbst wenn mein Körper in Stücke gerissen wird«, sagte der 36-Jährige in der für Nordkoreaner üblichen, blumigen Sprache.

Er entschuldigte sich zugleich, dass er das ihm entgegengebrachte Vertrauen »nicht immer zufriedenstellend erfüllt« habe. Schuld an der angespannten Versorgungslage seien die harten Sanktionen gegen sein Land. Von chinesischer Seite erhält Kim dieser Tage jedoch wieder Rückenwind. Präsident Xi Jinping ließ eine Gratulationsbotschaft ausrichten, in der er versprach, »die Beziehungen zwischen China und Korea gemeinsam zu verteidigen, zu festigen und weiterzuentwickeln«.

Jene Worte werden vor allem im Weißen Haus für Ärger sorgen, hat nicht zuletzt auch US-Präsident Trump mit seiner Sanktionspolitik auf Chinas Kooperation gehofft. Sein einstiger nationaler Sicherheitsberater, der erzkonservative John Bolton, schrieb jüngst im Wall Street Journal: »China sollte nicht länger als Teil der Lösung für die koreanische Halbinsel behandelt werden. Peking ist - und war wahrscheinlich immer - Teil des Problems«. Anstatt zur Denuklearisierung Nordkoreas beizutragen, betrachte die chinesische Regierung ein atomares Pjöngjang als nützlichen Joker, »um den Westen aus dem Gleichgewicht zu bringen«.

An der Uferpromenade in Dandong ist längst Abendstimmung eingekehrt. Aufgrund der Corona-Krise sieht man dieser Tage keine der sonst omnipräsenten nordkoreanischen Geschäftsmänner in den Straßen. Stattdessen nutzen ein paar Jugendliche mit Baseballmützen und weiten Hosen eine Skulptur zu Gedenken an den Koreakrieg, um mit ihren Skateboards kunstvolle Tricks zu vollführen. Auf die andere Seite des Flusses blicken sie nicht. Nordkorea, das längst im Dunkel der Nacht verschwunden ist, scheint von Dandong aus weit entfernt.

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