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Missbrauch erlaubt
Die Künstlergruppe »Frankfurter Hauptschule« hat sich zum Diebstahl einer Skulptur von Joseph Beuys bekannt
Die ewig leuchtende Birne der »Capri-Batterie« des deutschen Aktionskünstlers Joseph Beuys ist zum Opfer ihres Schöpfers geworden. Das Künstlerkollektiv »Frankfurter Hauptschule« behauptet in einem Video, das am Donnerstag auf der Videoplattform Youtube hochgeladen wurde, die Skulptur gestohlen und nach Tansania überführt zu haben.
Sie nehmen Beuys damit beim Wort, der 1975 über den sozialen Kontext von seinen Kunstwerken sagte, seine Mitmenschen dürften »damit machen, was ihr wollt. Ihr könnt es missbrauchen, dies oder jenes damit machen; ich mische mich da nicht mehr ein. Also, eine Arbeit, die ich einmal weggegeben habe, die ist weg.«
Weg ist die »Capri-Batterie« aus der Sammlung des LWL-Museums in Münster nun erst einmal tatsächlich, ihr Verbleib derzeit unklar. Vor dem Theater in Oberhausen, wo das Objekt im Rahmen der Festspiele »Schlingensief 2020« in der Ausstellung »Verschmutzung. Körperzustände. Faschismus. Christoph Schlingensief und die Kunst« zu sehen war, steht die Kripo. Eine Anzeige bei der Kreispolizeibehörde Oberhausen sei eingegangen, mehr Informationen habe er zurzeit nicht, so der Pressesprecher der Polizei.
Beim westfälischen Landesmuseum LWL war man von der Aktion nach eigenen Angaben überrascht, geht aber davon aus, dass es sich um einen Bluff handele. Man »warte noch auf ein offizielles Statement vom Theater Oberhausen, die sagen, alles gut, die Zitrone steht hier«. Ein Kunstwerk für diesen Zweck zu rauben, halte man aber nicht für angemessen.
Ähnlich äußert sich die Kuratorin des LWL, Marianne Wagner, die der Aktion durchaus etwas abgewinnen kann. Es sei ein interessanter künstlerischer Kommentar, zeige einen neuen Blick auf das Thema und reiße spannende Fragen an. Dennoch bestehe für sie als Kuratorin, die öffentliche Gelder verwaltet und das Kunstwerk zu erhalten hat, eine Pflicht gegenüber dem Museum, dem Künstler und der Öffentlichkeit. Das Theater Oberhausen gibt sich schmallippig: Das Objekt sei nicht mehr an seinem Platz, mehr könne man nicht sagen, der Vorfall werde geprüft.
Das Kunstwerk von 1985 besteht aus einer Zitrone, an die eine gelbe Glühbirne angebracht ist und die auf der Expo 2000 von Nordrhein-Westfalen im Deutschen Pavillon gezeigt wurde. Als »Perpetuum Mobile« inszeniert, soll das Licht der Lampe durch die Zitrone wie Sonnenlicht in Strom verwandelt werden und schließlich wiederum die Glühbirne somit, so Beuys, 1000 Stunden leuchten lassen, danach müsse die Batterie - die Zitrone - gewechselt werden. Laut eigenen Angaben hat die Frankfurter Künstlergruppe das Kunstwerk von Beuys bereits Sonntagnacht aus den Ausstellungsräumen des Theaters Oberhausen gestohlen.
Dort werden noch bis zum 1. November Kunstwerke von Künstlern wie Joseph Beuys, Alexander Kluge, VALIE EXPORT, Jonathan Meese und anderen gezeigt, die mit ihrer Kunst zu Schlingensief in Verbindung stehen, ihn beeinflusst haben oder von ihm beeinflusst wurden. Auch die »Frankfurter Hauptschule« knüpft in ihren Aktionen häufig an Schlingensief an, der am kommenden Sonntag, dem 25. Oktober, 60 Jahre alt geworden wäre. Größere Bekanntheit erlangte die Gruppe, als sie 2018 im Frankfurter Bahnhofsviertel ein Polizeiauto anzündete und damit den Zorn des dortigen Polizeipräsidenten auf sich zog.
Wenn es nach der »Frankfurter Hauptschule« geht, soll das Kunstwerk aber bald wieder zu sehen sein: in Tansania. Und zwar im »Iringa Boma, Regional Museum and Cultural Centre« von Iringa, einer Großstadt mit über 150 000 Einwohnern in dem ostafrikanischen Staat. Sie soll in der dortigen Dauerausstellung, die in einem ehemaligen kolonialen Militärkrankenhaus untergebracht ist, zwischen traditionellen Objekten der Handwerkskunst der Hehe gezeigt werden.
Im wiedervereinigten Deutschland schreitet der Wiederaufbau des alten Reichs indes unaufhaltsam voran, die letzten Reste der DDR werden, wo sie nicht als Mahnmale herhalten, abgerissen. So in Potsdam, dessen Wiederauferstehung in preußischem Glanz kurz bevorsteht, so in Berlin mit dem Humboldt-Forum, dem ideenlosen Nachbau des Berliner Stadtschlosses an der Stelle, wo vorher der Palast der Republik stand. In Bezug auf ebendieses Forum entwickelte sich auch hierzulande eine Debatte über die Herkunft von Kunst und ethnographischen Projekten aus ehemaligen Kolonien, die seit längerem international geführt wird.
Die Frankfurter Skandalkünstler wollen mit ihrer Aktion in dieser Debatte Fakten schaffen. In einem Bekennerschreiben zu ihrer Aktion »Bad Beuys go Afrika« schreiben sie: »Ihr nennt das Diebstahl? Ihr bringt doch euren Kindern bei, dass klauen böse ist und stellt dann gewaltsam angeeignetes Diebesgut in euren Museen aus. Ihr sagt, man kann die geraubten Sachen nicht zurückgeben, weil in Afrika alle Barbaren sind, die nicht vernünftig damit umgehen können, während in den Kellern deutscher Museen massenhaft nicht inventarisierte Beutekunst vor sich hin schimmelt.« In ihrem Video zur Aktion spielen die Frankfurter Künstler mit den europäischen Afrikaclichés weißer Touristen auf Safari und überspitzen dies auf groteske Weise.
Der Kontakt mit dem Museum in Tansania sei rasch hergestellt, man habe sich im Vorfeld getroffen und zusammen getrunken, so berichtete die Künstlergruppe dem »nd«: »Da war man sich schnell einig.« Dort freut man sich sehr über die Zitrone, traut man dem Video und den wie gewohnt skandalträchtigen Aussagen der »Frankfurter Hauptschule«: Es gebe da gerade eine Ausstellung zu Naturheilern, ein Phänomen, das in Tansania sehr verbreitet sei, »da passt der alte Nazi-Schamane Beuys natürlich ganz gut rein und die Capri-Batterie, die ja auf natürliche Energien setzt, sowieso«.
Ob die Aktion abgesprochen war oder nicht, ob sich das Kunstwerk nun tatsächlich in Iringa befindet oder nur eine Kopie: Dass sich auch heute noch die Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Kunst mit Skandal und Aufmerksamkeit erheischenden Aktionen durchaus klug beantworten lässt, zeigt die »Frankfurter Hauptschule« mit ihrem jüngsten Coup. Dafür muss es nicht immer so moralinsauer und aktivistisch zugehen wie bei dem »Zentrum für politische Schönheit«, einem Zusammenschluss von etwa 70 Künstlern.
Zu denen hat die »Frankfurter Hauptschule« eine klare Meinung: »Sie nehmen sich recht wichtig, übererklären alles, was sie tun, haben einen Internetauftritt wie ein Start Up und schmieren sich so Corporate-Identity-mäßig Farbe ins Gesicht.« Zwar sind auch die Frankfurter Künstler durchaus mit Krawall in der Aufmerksamkeitsökonomie um Anteile bemüht, vermeiden aber durch ihre spielerische und selbstironische Auseinandersetzung wie in dem aktuellen Video den verkniffen-bornierten Ernst der Kreativen vom »Zentrum«.
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