Unfreiwillig nackt im Netz

Petition fordert Gesetzesänderung, um Missbrauch auf Porno-Plattformen zu verfolgen

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 5 Min.

Der absolute Albtraum: Die eigenen Nacktaufnahmen sind ohne Zustimmung im Internet gelandet. Der Mitte zwanzigjährigen Anna ist das passiert. Davon erfahren hat sie durch einen alten Bekannten, der sie im März 2019 kontaktierte, erzählt sie dem »nd«. Er habe Nacktbilder von Anna, die eigentlich anders heißt, auf der Webseite xHamster entdeckt. Und nicht nur das: Auch ihr Klarname, ihr Heimatort, Fotos von der Webseite ihrer Arbeit und ein Foto ihres Facebookprofils wurden auf der größten Porno-Plattform Deutschlands veröffentlicht. Männer kontaktierten sie auf Facebook, schrieben ihr dort Nachrichten mit ihren Vergewaltigungsphantasien und sie bekam sogenannte Dickpics, also Bilder von Penissen, zugeschickt. Von unfreiwilligen Aufnahmen, die im Netz landen, sind Frauen, Männer, insbesondere Mitglieder der LGBTQ+ Community und Kinder betroffen. In diesem Zusammenhang wird oft der Begriff Racheporno benutzt. Doch das beschreibt das Problem nicht richtig: Wenn ohne das Einverständnis einer Person Aufnahmen veröffentlicht wurden, handelt es sich um bildbasierte sexualisierte Gewalt und nicht um einen Porno.

Leider ist das, was Anna passiert ist, kein Einzelfall. Die Petition »#NotYourPorn – Missbrauch auf Porno-Plattformen muss verfolgt werden« auf change.org setzt sich deshalb dafür ein, dass Betroffene bessere Hilfe bekommen und die Porno-Plattformen Verantwortung übernehmen.

Gestartet wurde sie von HateAid, der Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt, Anna Nackt, einer Plattform für Menschen, deren private Nacktfotos und Videos gegen ihren Willen im Internet geteilt wurden und der Plattform Am I In Porn? (Bin ich in einem Porno?), einer Suchmaschine, die herausfinden kann, ob man selbst auf Porno-Webseiten vorkommt. Adressiert an Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) fordert die Petition auch eine klare rechtliche Grundlage für die Verantwortung der Webseiten. Denn die Plattformen weigern sich, die Daten dieser User herauszugeben und sperren auch die Accounts der Verbreiter nicht. Deshalb sollte laut Petition eine Auskunftspflicht gegenüber den Betroffenen gelten. Außerdem sollen auch kleine Porno-Plattformen verpflichtet werden, alle als missbräuchlich gemeldeten Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen.

Polizei war »quasi keine Hilfe«

»Das Problem ist, dass Straftaten nicht verfolgt werden«, sagt Anna, weil es an technischer Expertise und an Bewusstsein für den Leidensdruck der Betroffenen mangele. Bei der Polizei sei sie auf viele Vorurteile gestoßen. »Ich musste sie richtig überzeugen, dass es nicht mein Freund war, der die Fotos ins Netz gestellt hat«, erzählt sie. Die Polizeibediensteten hätten nicht viel Ahnung von dem Thema gehabt, zeigten ihr gegenüber wenig Empathie. Obwohl Anna Anzeige erstattete, gab es von behördlicher Seite vor allem viel Stille und sie musste oft hinterher telefonieren. »Die Polizei war quasi keine Hilfe dabei, die Bilder aus dem Internet zu bekommen«, erklärt Anna. Es bedarf mehr Schulungen und eine bessere technische Ausstattung der Polizei, Justiz und staatlich geförderten Hilfestellen, fordert auch die Petition. Anna vermutet stark, dass im Zuge eines Massen-Hacks die Bilder von ihrer Cloud gestohlen und anschließend weiterverbreitet wurden. Letztendlich wurde sie selbst proaktiv, recherchierte zu sexualisierter Gewalt im Netz und holte sich Hilfe von IT-Forensikern. Sie kontaktierte die Webseite über ein Formular, die Bilder wurden gelöscht.

Doch Anna findet erneut ihre Fotos immer wieder auf xHamster und anderen Webseiten. Regelmäßig muss sie danach suchen – und dann die Löschung beantragen. Dieser Prozess nimmt ihr viel Energie. Besonders, wenn die Webseiten kein Kontaktformular haben oder wenn die Betreiber sich auf Beschwerden nicht zurückmelden. Einige dieser Plattformen existieren nicht lange, aber die Fotos tauchen trotzdem immer wieder auf. Besonders stressig ist es für Anna, wenn ihre Nacktbilder unter Google Fotos mit ihrem Namen zu finden sind. Dann bekommt sie Panikattacken und Herzrasen.

Anna hat die Situation am Anfang sehr belastet. Manchmal glaubt sie, dass sie verfolgt wird oder, dass Leute sie anschauen. Um besser damit umgehen zu können, ist sie in Therapie. Doch sie selbst findet, Glück gehabt zu haben. Denn andere Betroffene, die sie kennt, leiden so stark darunter, dass sie wochenlang mit psychischen Folgen zu kämpfen haben und teilweise sogar ihren Beruf nicht ausüben können.

Rechtlich fällt die Benutzung von Annas Bildern ohne ihr Einverständnis unter das Kunsturheberrecht. Denn Paragraf 201 StGB »Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen« greift das eigentliche Problem nicht auf. Doch sie findet, dass ihr Fall damit nicht richtig abgedeckt ist. Obwohl es strafbar ist, Nacktbilder ins Internet zu stellen, hindert es Täter*innen nicht daran, es zu tun. Und »gesetzlich muss sexualisierte Gewalt in Deutschland eine körperliche Komponente haben« kritisiert sie. Für neue psychische oder digitale Phänomene, wie beispielsweise auch das Upskirting, also das heimliche Fotografieren unter den Rock, müssen erst eigene Strafbestände geschaffen werden. Auf EU-Ebene sei das zum Beispiel schon anders, da dort auch die psychische Ebene mit einbezogen wird.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt in Fällen von bildbasierter sexualisierter Gewalt nicht, da dies nicht von besonderem öffentlichen Interesse sei. Auch das kritisiert die Petition. Denn es gibt sogenannte »Exposernetzwerke« die es sich zur Aufgabe machen, die Fotos immer wieder hochzuladen und weiter zu verbreiten. Oft finden sich in diesen Gruppen extrem frauenfeindliche Weltanschauungen. »Diese Netzwerke wollen die betroffenen Frauen immer wieder daran erinnern, dass es Nacktbilder von ihnen im Netz gibt« berichtete Anna bestürzt. Die Machenschaften dieser Netzwerke sind für sie organisiertes Verbrechen und sie zur Verantwortung zu ziehen, liege durchaus im öffentlichen Interesse, findet die junge Frau.

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