Telematik-Tarife und virtuelle Fahrzeugschlüssel

Neustart in der Autoversicherung

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Für rund elf Millionen Autofahrer ändert sich nach der kürzlich (9-2020) vorgestellten Typklassenstatistik des Versicherungsverbandes GDV ihre Einstufung. Um mehr als eine Klasse nach oben oder unten geht es allerdings nur für wenige Modelle. Für bestehende Verträge bedeuten die neuen Typklassen Veränderungen meist zum 1. Januar 2021. Für neue Verträge können sie sofort genutzt werden.

Die einzelnen Typklassen berechnen sich nach den Schäden und Reparaturkosten, die ein Automodell im Durchschnitt verursacht hat. Fallen diese gering aus, kommt es im kommenden Jahr in eine niedrige Klasse. Hohe oder häufige Schäden und entsprechende Leistungen der Versicherer führen dagegen zu einer Hochstufung.

Immer bedeutender werden zudem die sogenannten Telematik-Tarife. Bei ihnen wird der Beitrag am Fahrverhalten des Kunden gemessen. Wer der Datensammelei zustimmt, sich an Geschwindigkeitsbeschränkungen hält und insgesamt defensiv fährt, wird mit einem Bonus belohnt. Die Ersparnis kann, nach Angaben von Vergleichsportalen im Internet, bis zu 30 Prozent der Prämie betragen.

Das ist lukrativ. Doch Telematik-Tarife bereiten nicht allein Datenschützern Kopfzerbrechen. Das vernetzte Auto muss bezüglich möglicher Cyber-Risiken angemessenen Schutz bieten - gleichzeitig aber einen diskriminierungsfreien Zugriff auf Fahrzeugdaten erlauben, um so Services von Dritten, etwa der Werkstatt, zu ermöglichen.

Wie kompliziert das in der Praxis sein kann, veranschaulichten Experten auf dem 8. Allianz Autotag am Beispiel des »Virtuellen Autoschlüssels«. Dieser öffnet, schließt und startet das Auto mit Hilfe eines Smartphones - und ersetzt damit den herkömmlichen Autoschlüssel.

Das sei komfortabel, werfe aber ebenfalls gewichtige Fragen auf, gaben die Experten zu. Wie steht es beispielsweise um die Datensicherheit? Was passiert, wenn das System gehackt wird? Schließlich gilt das vernetzte Auto als zukünftiges Hackerziel.

Auch für die Versicherungskonzerne stellen sich neue Fragen, insbesondere im Falle eines, so der Fachausdruck, »Totaldiebstahles«. Nach einem Diebstahl des Fahrzeugs muss der Halter den vollständigen Schlüsselsatz vorlegen, wenn er seinen Schaden geltend macht. Nur, wie macht er das? Wie kann der Kunde nachweisen, dass das Fahrzeug wirklich gestohlen wurde - und nicht gerade von einem berechtigten Fahrer genutzt wird, der irgendwann einmal einen virtuellen Schlüssel bekommen hat?

Für den Versicherer stellt sich zudem die Frage: Wie und was muss geprüft werden? Nach einem Fahrzeugdiebstahl muss der Kunde für die Regulierung grundsätzlich den vollständigen Schlüsselsatz bei der Versicherung einreichen. Hat er einen digitalen Schlüssel, muss er zusätzlich zur Vorlage aller physischen Schlüssel auch jeden Berechtigten nennen, der im Besitz eines virtuellen Schlüssels war, und einen Nachweis über die Löschung der Berechtigung vorlegen.

Ein internationales Gremium von Automobilforschungszentren namens RCAR, in dem 24 Mitglieder aus Europa, Asien, Nordamerika, Südamerika und Australien zusammenarbeiten, hat vor diesem Hintergrund einen internationalen Standard für virtuelle Fahrzeugschlüssel festgelegt. Angeblich können Kunden nach einem Totaldiebstahl nun auch bei der Verwendung eines virtuellen Schlüssels schnell und komplikationslos entschädigt werden. Darüber hinaus setzt der Standard auch Maßstäbe hinsichtlich der IT-Sicherheit des Gesamtsystems, welches über das Fahrzeug hinaus das Smartphone, die Kommunikation und den Internetanbieter umfasst. Allerdings, längst nicht alle Autobauer und Versicherer nutzen den RCAR-Standard.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erfasst seit März 2020 zentral die Systeme, sofern im Fahrzeug vorhanden oder vorbereitet. »Der Kunde muss dem virtuellen Schlüssel vertrauen können. Kein Kunde wird dem Versicherer im Falle eines Fahrzeugdiebstahls sein Smartphone zuschicken«, sagte Jochen Haug, Schadenvorstand Allianz Versicherungs-AG. »Das heißt, der Schlüssel darf nicht kopierbar sein, und wir brauchen im Falle eines Totaldiebstahls einen transparenten Überblick, wer wann für welchen Schlüssel berechtigt wurde.«

Der 30. November gilt allgemein als Stichtag für die Kündigung der Kfz-Versicherung - sofern die Hauptfälligkeit der 1. Januar ist. Unabhängig davon steht Ihnen in bestimmten Fällen ein Sonderkündigungsrecht zu. Das ermöglicht unterjährig die Kündigung der Kfz-Versicherung. Ein außerordentliches Kündigungsrecht haben Sie zum Beispiel bei Erhöhung der Versicherungsprämie, einem Fahrzeugwechsel (z.B. durch Kauf) oder im Schadenfall. Wie bei einer regulären Kündigung gilt eine Kündigungsfrist von vier Wochen. Die Sonderkündigung der Kfz-Haftpflichtversicherung muss schriftlich erfolgen.

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