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Wie man kein Auge zudrückt

Helmut Rasch besucht ein Methodenseminar bei Dr. Giffey

  • Helmut Rasch
  • Lesedauer: 3 Min.

Vergessen Sie alles von »Coronaparty« bis zur »Aha-Regel«, deren Name suggeriert, es sei doch alles ganz einfach mit der Pandemiebekämpfung, wo tatsächlich ein aberwitziger bürokratischer Wust vorherrschte: Das Unwort des - zumindest akademischen - Jahres 2020 lautet ganz eindeutig »geltungserhaltende Reduktion«.

Dies nämlich ist, so meint zumindest der Juraprofessor Gerhard Dannemann von der HU Berlin, das Prinzip, das die Konkurrenz von der Berliner FU auf die - noch so ein Unwort - »umstrittene« Doktorarbeit der Bundesministerin und aspirierenden Berliner Landesübermutter Dr. rer. pol. Franziska Giffey angewendet hat: Finden sich in einer akademischen Qualifikationsschrift gut zwei Dutzend »objektive Täuschungen«, muss das noch lange kein grundsätzliches Problem sein: Man stelle sich vor, diese Stellen gebe es gar nicht - und bewerte den hypothetischen Rest des Manuskripts.

Dass ein solches Ex-Post-Bewertungsverfahren juristisch unzulässig ist, zeigt die einschlägige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. Und nun haben offenbar auch die zuständigen Taskforces an der Freien Universität bemerkt, dass das Zudrücken des einen oder anderen Auges in Deutschland rechtlich wohlbegründet zu sein hat: Überraschend kam dieser Tage die Nachricht aus Dahlem, man habe die vor Jahresfrist an Giffey erteilte »Rüge« zurückgezogen und prüfe den Fall erneut.

Das Rechtsdetail, in dem hier der Teufel steckt, ist zwar offenbar nicht - was aktuell wie früher von Promotionsverfahren Betroffene überraschen dürfte und verärgern könnte - die Frage, ob eine nachträgliche Beurteilung à la »bestanden mit Einschränkung« logisch überhaupt möglich ist oder es hier um ein Entweder-oder geht. Eine solche »Rüge« ist wohl, das hat man 2020 gelernt, rechtlich vertretbar, obwohl sie weder in der Promotionsordnung noch im Landeshochschulgesetz steht. Dann aber muss man es wenigstens richtig machen, nämlich offiziell und ausdrücklich einen »minderschweren Fall« von Plagiat erklären. Das hat, soweit aus Dahlem zu hören ist, der entsprechende Prüfbericht versäumt.

Wer nun einwendet, dass »minderschwerer Fall« und »geltungserhaltende Reduktion« doch irgendwie aufs Gleiche hinausliefen, beweist zwar gesunden Menschenverstand. In der Wissenschaft ist hier aber eine basale Unterscheidung zu treffen: Ersteres beschreibt das Ergebnis einer Untersuchung und Zweiteres eine Methode.

So eignet sich die etwas peinliche Sache immerhin als Aha-Regel für eine ganze Textgattung. Denn dass sich in akademischen Elaboraten Ergebnis und Methode gelegentlich vermengen, steht keineswegs auf einem anderen Blatt. Fast wäre man geneigt, die Qualifikationsarbeiten der Mitglieder jener Dahlemer Prüfungskommission diesbezüglich einmal durchzuarbeiten.

Doch zum Glück berichtet jüngst der »Tagesspiegel« aus dem Bauch der Affäre, jene Kommission habe ausschließlich aus Personen bestanden, die mit Dr. Giffeys Doktormutter in unmittelbarer Beziehung standen. Dass es bei alledem bisher wohl eher um Gefälligkeit ging als um fachliches Urteilvermögen - das ist, so arm das klingt, die bisher beste Botschaft dieser Causa.

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