Überwachung und Kontrolle

Die Länder Asiens verzeichnen in der zweiten Corona-Welle weniger hohe Infektionszahlen

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

Fast die Hälfte der weltweiten Neuinfektionen mit dem Sars-CoV-2-Virus sind zuletzt in den Ländern Europas registriert worden. Die 54 Staaten, die nach Einordnung der Weltgesundheitsorganisation zum Kontinent gehören, machten 46 Prozent der in der vergangenen Woche festgestellten vier Millionen Fälle aus. Die zweite Welle führt zu Erschütterungen, die erneut nicht nur schwere gesundheitliche, sondern auch ökonomische Schäden anrichten.

Anders sieht die Situation in vielen Ländern Asiens aus. Auf dem bevölkerungsstärksten Kontinent schwappt die zweite Welle nicht annähernd so hoch, in Südostasien fielen in den vergangenen Tage sogar die Infektions- und Todeszahlen. Das bedeutet auch, dass sich Regierungen kaum zu so harten Maßnahmen gezwungen sehen wie in Europa. Vielerorts deutet das Alltagsleben weitgehend nicht auf Krise hin, solange man sich nicht infiziert hat oder in Kontakt mit entsprechenden Personen war.

Als Vorbild kann Taiwan gelten. Die Demokratie südlich des chinesischen Festlandes registriert seit längerem nur zweistellige Neuinfektionszahlen, was nur teilweise an der Insellage liegt. So werden die strengen Quarantäneregeln in Einzelisolation rigoros überprüft. Wie im ähnlich erfolgreichen Südkorea greift die Regierung auf Handydaten zurück, um von infizierten Personen Bewegungsprofile zu erstellen. Wer sich nicht an die Quarantäneregel hält, dem drohen harte Strafen bis zu Gefängnis.

Dass Taiwan das Virus weitgehend im Griff hat, zeigt sich auch ökonomisch. Laut einer Schätzung des Internationalen Währungsfonds wird das Land dieses Jahr als einzige entwickelte Volkswirtschaft neben China insgesamt ein positives Wirtschaftswachstum erreichen. Südkorea, wo man zur Kontaktverfolgung auch auf Kreditkartenbewegungen und Chatverläufe zurückgreift, wird im Vergleich mit anderen Ländern nur leicht schrumpfen. Was datenrechtlich problematisch ist, wirkt im Kampf gegen Pandemie und Rezession. In Deutschland dagegen, wo die Corona-Warn-App kaum Information hergibt, ist sie auch kaum wirksam.

Das Problem einer teuren, aber eher ineffektiven App kennt man auch in Japan. Deren Pendants zur deutschen Corona-Warn-App sind ähnlich schwach, weil sie keine GPS-Daten nutzen. »Das wäre datenschutzrechtlich problematisch«, erklärt Hitoshi Oshitani, Virologe an der Tohoku Universität in Sendai und Mitglied der Regierungstaskforce. Ein weiteres Problem, das Japan mit Deutschland teilt: Die Downloadzahlen erreichen nicht annähernd den von Virologen angestrebten Bevölkerungsanteil von 60 Prozent. Auch deshalb häuften sich die Infektionsfälle in Japan in den vergangenen Wochen wieder.

Das war es aber auch mit den Gemeinsamkeiten zwischen Japan und Deutschland. Das ostasiatische Land zählt mit 130 000 Infektionsfällen auf 126 Millionen Menschen deutlich weniger Infektionen pro Kopf als die Länder Europas. Das scheint daran zu liegen, dass man in Japan von Anfang an die Clusterinfektionsstrategie verfolgte. Dieser Ansatz verzichtet beim Feststellen der Krankenzahl weitgehend auf breitflächiges Testen. Stattdessen werden die Kontaktpersonen von bereits infizierten Personen gesucht und dann getestet. Während auf diese pragmatische Weise Infektionen übersehen werden, werden zugleich größere Erkenntnisse erzielt, was die Ansteckungswege angeht. Auch wegen dieser Vorarbeit ist die neue Welle nicht annähernd so hoch wie etwa in Deutschland. Mit nur gut 2400 Neuinfektionen wurde Mitte November ein Tagesrekord aufgestellt.

Die relativ geringe Wucht erklärt sich aber auch dadurch, dass sich die Menschen an Regeln halten. Japans Regierung bestraft die Bürger nicht bei Verstößen - es gibt ohnehin praktisch keine. Masken werden getragen, dringende Empfehlungen zur Quarantäne werden beherzigt. Auch wenn derzeit kaum jemand in Japan daran glaubt, dass im kommenden Sommer die Olympischen Spiele von Tokio wirklich stattfinden werden: Die Gesellschaft macht weitgehend ihre Hausaufgaben, damit es möglich wird. Die Organisatoren wollen allerdings partout, dass die Spiele mit Zuschauern stattfinden.

Dafür will man strikte Test- und Quarantäneregeln bei der Einreise einführen. Vermutlich wird das Land dann auch strenger in der Durchsetzung werden. Denn die derzeitigen Gebote an die eigene Bevölkerung fußen auf der Annahme weitläufiger Regeltreue - sie haben keine Gesetzeskraft, sind rechtlich gesehen bloß »dringende Appelle«. Kommen aber für Olympia Menschen aus jedem Land der Erde nach Japan, wird man mit diesem in der japanischen Kultur ausreichenden Ansatz nicht weit kommen.

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Vielleicht wird sich die Krisenpolitik dann eher in Richtung des ähnlich erfolgreichen Singapurs bewegen. Der 5,6-Millionenstadtstaat in Südostasien zählt nach einem kürzlichen Anstieg der Infektionen nun 58 000 Erkrankungen - aber nur 28 Tote. Das liegt auch daran, dass weitere Ansteckungen vermieden werden konnten. Über die vergangenen zwei Wochen gab es kaum 100 Neuinfektionen. Die Quarantäneregeln werden auch hier streng überprüft. Wer isoliert wird, den beobachtet der Staat mit einer Art elektronischer Fessel oder durch Überprüfung per Handy. Wer durch Quarantäneanordnungen Verdienstausfälle zu beklagen hat, wird vom Staat entschädigt.

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