Ordnungsgeld für Behördenleiter

Im Breitscheidplatzuntersuchungsausschuss bahnt sich eine Affäre an

Im Untersuchungsausschuss zum Attentat vom Breitscheidplatz gelang dem Behördenleiter Reinhard Müller etwas, das es so in fast drei Jahren Ermittlungsarbeit nicht gegeben hat. Der Ausschuss prüft die Verhängung eines Ordnungsgeldes und reagiert damit auf das unkooperative Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz LfV aus Mecklenburg-Vorpommern.

Dass dieser Donnerstag kein einfacher Sitzungstag werden würde, kündigte sich schon in der Vorbereitung an. Der Chef des LfV aus Schwerin wollte nur in nicht-öffentlicher Sitzung im Bundestag aussagen. Unüblich, insbesondere für Leitungspersonen in Behörden, deren Verantwortungsbereich eigentlich weit genug weg von konkreten Sachverhalten ist, die eine Gefährdung von Personen oder Quellen mit sich bringen. Erst auf Druck von FDP, Grünen und Linken wurde eine öffentliche Vernehmung angesetzt, die im Untersuchungsausschuss eigentlich die Regel ist.

Verweigerungshaltung

Reinhard Müller aber mauert. Zur Seite stehen ihm die erst kürzlich mit diesem Aufgabenbereich betraute Juristin Yvonne Mathiske als Vertreterin des Landes Mecklenburg-Vorpommern und der Rechtsbeistand Butz Peters, der sich auf Untersuchungsausschüsse spezialisiert hat. Die Interventionen der Juristin Mathiske beginnen unmittelbar mit den ersten Fragen der Parlamentarier*innen. Selbst zu einfachsten Sachverhalten aus der Verfassungsschutzarbeit soll Zeuge Müller keine Stellung nehmen dürfen. Seine Aussagegenehmigung verbiete es, über Personalangelegenheiten zu sprechen. Auf die Belehrung durch Martina Renner (Linke), die der Juristin erklärt, dass lediglich Angaben zu Urlaubs- oder Krankheitszeiten, nicht aber zu dienstlichem Handeln verweigert werden könnten, reagiert Mathiske sichtlich genervt. Reihum kritisieren die Obleute die ausufernde Verweigerungshaltung. »Dann interveniere ich bei der nächsten Frage«, kündigt Mathiske an.

Zeuge Müller folgt dem Beispiel und sieht sein Verhalten von der Aussagegenehmigung gedeckt. Die Rechtsauffassung der Obleute und des stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Mahmut Özdemir (SPD), der Müller mehrfach belehrt und auf die Zeugenpflichten hinweist, kümmern Müller nicht. »Ich kann, möchte und will und darf nicht in öffentlicher Sitzung zu den Inhalten Stellung nehmen«, sagt der Behördenleiter und verweigert Angaben zu Entscheidungsketten und dienstlichen Begebenheiten, ohne die kein Untersuchungsausschuss ermitteln kann.

Die wenigen Sachaspekte, die erörtert werden, zeigen ein mehr als fragwürdiges Rechtsverständnis. Müller soll den Parlamentarier*innen erläutern, wie seine Behörde zu der Einschätzung kam, nach dem Attentat wesentliche Informationen nicht weiterleiten zu müssen. Anis Amri, so hatte eine Quelle des LfV in Schwerin in Erfahrung gebracht, soll Verbindungen in Berliner Clanstrukturen gehabt haben. Dort sei man sowohl über die Anschlagspläne informiert, als auch an der Flucht nach der Tat beteiligt gewesen.

Nach den Darstellungen Müllers sei das LfV zur Einschätzung gekommen, diese Hinweise seien nicht hinreichend belegt und unglaubwürdig. Martina Renner will wissen, wie Müller zur Rechtsauffassung gekommen ist, dass das LfV im Februar 2017 seine Hinweise nicht an das Bundeskriminalamt und den Generalbundesanwalt hätte weiterleiten müssen. Längst war der Anschlag passiert und 12 Menschen waren ermordet worden. Rechtlich ist das Verfassungsschutzgesetz in diesem Punkt eindeutig und fordert in Mordfällen die Weiterleitung aller verfügbaren Informationen an die Strafverfolgungsbehörden. Müller vertritt die Auffassung, dies sei beim Verfassungsschutz schon einmal gerügt worden und seine Behörde würde nur noch dann Informationen weitergeben, wenn diese inhaltlich geprüft und für relevant befunden worden sind.

Müller bleibt uneinsichtig, wirft den Parlamentarier*innen vor, diese seien ihm gegenüber voreingenommen und hätten aus geheimen Sitzungen Informationen an die Presse gegeben. »Das hat es in über 100 Sitzungen hier nicht gegeben«, kommentiert Benjamin Strasser (FDP) die Verweigerungshaltung, selbst auf die einfache Frage, wie viele Mitarbeiter in Müllers Behörde im Bereich Islamismus tätig sind. Niemand erwartet eine detaillierte Angabe zur genauen Zahl der Dienstposten, jedoch mindestens die übliche Eingrenzung auf »eine Zahl im hohen einstelligen Bereich«, die bei geheimhaltungsbedürftigen Arbeitsbereichen akzeptiert wird.

Frage um Frage entwickelt das Sitzungsgeschehen abstruse Züge. »Sind Sie als Person zu einer eigenen Bewertung gelangt? Ja oder nein?«, will Fritz Felgentreu (SPD) wissen. »Ich verweise auf meine zuvor gegebenen Antworten«, entgegnet Müller. »Sie haben aber keine Antwort gegeben«, bricht auch der SPD-Obmann Felgentreu schließlich den Befragungsversuch erfolglos ab.

Unbelehrbar

Nach mehreren Beratungssitzungen ändert sich an der Verweigerungshaltung Müllers und dem unkooperativen Verhalten der Juristin Mathiske nahezu nichts. Durch Aktenvorhalte muss Müller jedoch einräumen, dass das LfV sowohl vor als auch nach dem Anschlag Bezüge zum Fall Anis Amri gehabt hat. Gegen 23 Uhr 45 entscheiden die Parlamentarier*innen, die öffentliche Vernehmung des Zeugen abzubrechen und stimmen für die Verhängung eines Ordnungsgeldes. In den nächsten Tagen werden die Wortprotokolle der rund dreistündigen Vernehmung auf die Inhalte geprüft, bei denen Zeuge Müller zur Auskunft verpflichtet war wie zahlreiche Zeugen im Untersuchungsausschuss zuvor.

Für Martina Renner war der Abend vor allem ein Einblick in die Arbeitskultur der Behörde: »Das, was Behördenleiter Müller hier heute aufgeführt hat, kann nur mit Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament beschrieben werden.« Es sei deutlich geworden, dass Müller nicht nur Rückendeckung auf der Behördenebene habe, sondern auch innerhalb der politischen Führung des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Neben dem Breitscheidplatz zeige das dortige Innenministerium auch beim Rechtsterrorismus des NSU, der Gruppe Nordkreuz und beim illegalen Waffenhandel eine ähnlich problematische Behördenkultur auf. Grünenpolitikerin Irene Mihalic bezeichnete das Aussageverhalten Müllers als Frontalangriff auf die parlamentarische Kontrolle. »So kann man mit einem Parlament nicht umgehen, dass zulässig Fragen in einer öffentlichen Sitzung stellt. Das ist nicht nur ein Affront, sondern behindert auch die Aufklärung maximal«, kritisiert Mihalic.

Für Müller ist es mit einem Ordnungsgeld jedoch nicht getan. Bereits am 10. Dezember 2020 plant der Untersuchungsausschuss eine erneute Vernehmung. Dann werden neben Müller auch der Parlamentarische Staatssekretär des Innenministeriums Thomas Lenz (CDU), ein weiterer Vertrauenspersonenführer und der kürzlich aufgrund einer Waffenkaufaffäre zurückgetretene Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns Lorenz Caffier (CDU) geladen.

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