Corona-Pandemie erschwert Kampf gegen Aids

Ziel von Unaids, bis Ende 2020 weltweit rund 30 Millionen HIV-infizierte Menschen zu behandeln, ist außer Reichweite

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Die Corona-Pandemie beeinträchtigt laut dem UN-Hilfsprogramm Unaids die medizinische Versorgung von Menschen mit dem HI-Virus. Rund um die Welt werde aufgrund von Engpässen im Gesundheitswesen die Behandlung von HIV-positiven und aidskranken Menschen eingeschränkt, warnte die Unaids-Exekutivdirektorin, Winnie Byanyima.

Bereits vor Ausbruch der Krankheit Covid-19 habe es Rückschläge im Kampf gegen die Ausbreitung des HI-Virus gegeben, betonte Byanyima. Doch die Corona-Pandemie habe die Lage zusätzlich verschlechtert. So erhielten Mitte Juni dieses Jahres weltweit 26 Millionen HIV-Infizierte eine lebensverlängernde antiretrovirale Behandlung. Das seien nur einige Hunderttausend mehr als Ende 2019, als 25,4 Millionen Menschen therapiert worden seien und weniger als geplant.

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Das Ziel von Unaids, bis Ende 2020 rund 30 Millionen HIV-infizierte Menschen zu behandeln, sei somit außer Reichweite geraten. Noch immer warten laut Unaids rund zwölf Millionen HIV-Infizierte auf eine lebensverlängernde Behandlung. Im Zuge der Corona-Pandemie schlossen die Länder Grenzen und Betriebe, somit wurden vielerorts Lieferketten auch für Aids-Medikamente unterbrochen. Zudem leiteten sie Ressourcen in den Kampf gegen Covid-19, was auch auf Kosten der Aids-Behandlungen ging.

Laut Unaids infizierten sich 2019 weltweit rund 1,7 Millionen Menschen neu mit dem HI-Virus. Etwa 690.000 Männer, Frauen und Kinder starben im vergangenen Jahr an Aids oder Folgekrankheiten. 38 Millionen Menschen lebten mit der Immunschwäche. Eine regelmäßige antiretrovirale Behandlung bremst die Vermehrung von HIV im Körper und beschert den Infizierten ein längeres Leben. Unaids ist ein Programm der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf.

Das UN-Kinderhilfswerk Unicef beklagte, dass dem Schutz und der Behandlung von Kindern in der Aids-Politik am wenigsten Beachtung geschenkt werde. Im vergangenen Jahr seien 110.000 Kinder an Aids gestorben. 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren lebten mit dem Virus, aber nur die Hälfte habe Zugang zu Medikamenten, kritisierte Unicef.

Corona-Pandemie verschärft auch Existenznot von Aids-Waisen

In Kenia hat COVID-19 laut »Ärzte ohne Grenzen« auch die Existenznot von Aids-Waisen massiv verschärft. »Besonders Kinder und Jugendliche, die sich um ihre Geschwister kümmern, müssen manchmal entscheiden, ob sie Essen besorgen oder Medikamente«, sagte der medizinische Koordinator der Organisation in Kenia, Mohammed Musoke. »Das ist für jeden eine fürchterliche Entscheidung und noch viel mehr für einen Teenager.«

Zwar kosteten die HIV-Medikamente nichts, aber durch den Lockdown sei alles teurer geworden, wie auch die Fahrtkosten, um die Mittel zu holen. Zudem hätten viele Menschen ihr Einkommen verloren, so dass die Kinder weniger von Angehörigen unterstützt würden.

»Es sind Teenager, die die Verantwortung für den Haushalt übernehmen«, erläuterte Musoke. Einige von ihnen seien selbst HIV-positiv oder ihre Geschwister, die Eltern und andere nahe Angehörige an Aids gestorben oder erkrankt. »In manchen Fällen haben die Kinder noch ein Elternteil oder einen engen Angehörigen, die jedoch, um Arbeit zu finden, wegen Corona weiter weg müssen.«

Obwohl die Zahl der Todesfälle durch Aids in Kenia von 2007 bis 2017 um 50 Prozent zurückgegangen ist, ist es immer noch die häufigste Todesursache in dem ostafrikanischen Land. Laut offiziellen Schätzungen waren 2018 etwa 4,9 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert, 6,6 Prozent Frauen, 3,1 Prozent Männer und 0,7 Prozent Kinder. Am höchsten ist die Infektionsrate im Westen des Landes, vor allem im Bezirk Homa Bay County mit knapp 20 Prozent, wo »Ärzte ohne Grenzen« das größte HIV-Programm hat.

Durch die Corona-Pandemie sei es schwieriger, mit den Patienten in Kontakt zu bleiben, sagte Musoke. »Wir brauchen eine gut funktionierende Kette von Gesundheitszentren über Kontaktpersonen in den Dörfern und Vierteln bis zu den HIV-Infizierten.« Gerade bei alleinverantwortlichen Kindern sei das besonders wichtig und aufwendig. »Vor Corona kamen Kinder und Jugendliche regelmäßig zu unseren Programmen, wo sie medizinisch und psychologisch betreut und mit dem Notwendigsten versorgt wurden«. Diese Veranstaltungen hätten jedoch ausgesetzt werden müssen und würden teilweise durch Treffen in kleinen Gruppen ersetzt. »Aber die Qualität unseres Angebots leidet darunter.«

Auch die Schulschließungen seit März hätten die Lage der Aids-Waisen deutlich verschlechtert. »In der Schule erhalten Kinder nicht nur Bildung und eine Struktur, sondern auch zwei Mahlzeiten am Tag«, betonte Musoke. Jetzt müssten die meist weiblichen Jugendlichen, die sich um ihre Geschwister kümmern, zwei Mahlzeiten mehr auf den Tisch bringen, für Beschäftigung sorgen, die HIV-Medikamente besorgen und sicherstellen, dass alle sie regelmäßig nehmen.

»Ärzte ohne Grenzen« versuche, für solche Familien Bezugspersonen zu finden, die regelmäßig nach dem Rechten schauten und erreichbar seien, erläuterte Musoke. Aber auch das sei schwieriger geworden. »Wir haben Sorge, dass durch die Pandemie die Fortschritte, die wir bei der Aids-Bekämpfung gemacht haben, zunichtegemacht werden.« Agenturen/nd

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