Wenn Ignoranten demonstrieren

Zahl der Anti-Corona-Aktionen in Brandenburg nimmt rapide zu, demokratische Parteien sind alarmiert

  • Mischa Pfisterer
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Umgang mit den Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen in Brandenburg beschäftigt mittlerweile auch den Innenausschuss des Landtags. Von ungefähr 100 derartigen Versammlungen in den vergangenen vier Wochen berichtete in der Ausschusssitzung am Mittwoch Referatsleiter Jan Müller. Sein Vorgesetzter, Innenminister Michael Stübgen (CDU), betonte, dass es Konsens in allen demokratischen Parteien sei, dass jeder sein Demonstrationsrecht ausüben dürfe. Eine Begrenzung der Teilnehmerzahlen soll es zumindest erst einmal nicht geben. »Wir befinden uns in einem dynamischen Pandemie-Geschehen, ich kann Ihnen nicht sagen, was in einigen Wochen ist«, schränkte Stübgen dann doch ein. Gerade in Bezug auf etwaige Hotspots halte er es für durchaus denkbar, »dass bei strengeren Beschränkungen auch das Versammlungsrecht betroffen ist«.

Dem Abgeordneten Andreas Büttner (Linke) scheint die Vorgehensweise zu zaghaft. »Ich sehe es allerdings als Problem, wenn Teilnehmer dieses Demonstrationsrecht missbrauchen«, sagte er. »Die Extremisten, die dort auftauchen, tanzen dem Staat auf der Nase rum«, konstatierte auch die Abgeordnete Inka Gossman-Reetz (SPD). Andrea Johlige (Linke) wollte wissen: »Wie gehen wir denn mit der Situation in Brandenburg um, zum Beispiel mit dem, was sich Toxisches gerade da in Cottbus tut?« Johlige bezog sich hierbei auf einen Vorfall am Sonntag vor gut zweieinhalb Wochen, als rund 20 Personen in schwarzen Mänteln und mit Masken verdeckten Gesichtern durch die Cottbuser Innenstadt zogen. Laut Innenministeriumssprecher Andreas Carl ist diese gegen die Corona-Maßnahmen gerichtete Protestveranstaltung »klandestin vorbereitet« worden. Art der Durchführung, optische Inszenierung, semiprofessionelle Beschaffenheit des Videos und mediale Begleitung seien zumindest Indizien dafür, erläuterte Carl dem »nd«. Auch für Politikerin Johlige ist klar: »Solche Veranstaltungen mit dieser Ästhetik sind eindeutig der extremen Rechten zuzuordnen.«

Mit Abstand höchste Zahl von Corona-Todesfällen
  • 52 Prozent der Brandenburger halten die Corona-Maßnahmen für angemessen, 27 Prozent für nicht ausreichend, 18 Prozent für übertrieben. Das ergab eine Umfrage für den RBB.
  • Das brandenburgische Gesundheitsministerium meldete am Mittwoch 26 neue Corona-Todesfälle. Das ist der bisher mit Abstand höchste Wert. Insgesamt sind jetzt 409 Brandenburger im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben. Der erste Tote war am 23. März zu beklagen. Die bislang höchste Zahl von 16 Todesfällen wurde am 28. November gemeldet. 522 Corona-Patienten werden in märkischen Kliniken behandelt, 120 auf Intensivstationen.
  • 48 Prozent der Brandenburger sind bereit, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Das geht aus einer Umfrage der Krankenkasse Barmer hervor. 19 Prozent wollen sich nicht impfen lassen. Knapp die Hälfte derer, die sich impfen lassen wollen, begründen das unter anderem mit den belastenden Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie. af

Ähnliche bizarre Vorfälle ereigneten sich in der Region bereits vor zehn Jahren. Die Gruppierung »Widerstand Südbrandenburg«, auch als Spreelichter bekannt, fiel über Jahre mit gespenstischen Spontandemonstrationen auf. Im Innenministerium sprach man damals von martialischen, rechtsextremen Aktionen, »die besonders gefährlich sind, weil sie sich speziell an Jugendliche richteten«. 2012 folgte das Verbot wegen »Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus« und »aktiv-kämpferischen Vorgehens gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung«. Mitgliedern der Organisation wurden zahlreiche Straftaten zur Last gelegt.

Sicherheitsexperten bezifferten seinerzeit den harten Kern des »Widerstands Südbrandenburg« auf 40 Neonazis, die Sympathisanten auf weitere 150. Die Vereinigung veranstaltete unter anderem »Nationale Kampfsportturniere« und war gut vernetzt mit Rechtsextremisten in Sachsen.

»Aktuell ist offen, ob diese Verbindungen lediglich darauf beruhen, dass die Verantwortlichen der Cottbuser Protestveranstaltung von der neonationalsozialistischen Propagandatätigkeit der verbotenen ›Widerstandsbewegung in Südbrandenburg‹ inspiriert wurden«, heißt es aus dem Innenministerium. Möglich seien aber auch personelle Überschneidungen.

Die Cottbuser Stadtverordnete Barbara Domke (Grüne) würde das nicht wundern. »Die Akteure sind heute alle noch da«, sagt sie. Viele seinen heute in oder für die AfD aktiv, darunter auch Marcel F., ein stadtbekannter Neonazi und ehemaliges NPD-Mitglied. Domke engagiert sich seit Jahren gegen Neonazis. Den Aufmarsch in Cottbus Mitte November hat sie durch Zufall mitbekommen. Sie konnte zwei Personen identifizieren, darunter auch eine Stadtverordnete.

In Cottbus mobilisieren momentan jedoch nicht nur Neonazis gegen die Corona-Beschränkungen. »Mit den Gruppen ›Eltern stehen auf‹ und ›Summphonie‹ haben wir es gleich mit zwei weiteren gefährlichen Akteuren zu tun«, sagt Domke. Während »Eltern stehen auf« bundesweit im im Umfeld von Corona-Verharmlosern und Querdenkern aktiv ist, handelt es sich bei »Summphonie« um ein reines Cottbuser Phänomen. Die Akteure berufen sich auf alternative Medizin, Waldorfpädagogik und linke Globalisierungskritik.

»Die Stimmung in der Stadt ist ignorant«, beklagt Domke. »Die Menschen treffen sich und stehen dann dicht beisammen beim Glühweintrinken.« Dabei ist die Zahl der Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in Cottbus und im benachbarten Landkreis Spree-Neiße mit 207 beziehungsweise 223 weiterhin hoch. Am Mittwoch stieg die Zahl der in der Statistik vermerkten Todesfälle in Cottbus um sieben auf 36 und in Spree-Neiße um drei auf 28. »Das kommt bei vielen immer noch nicht an«, bedauert Domke.

Diejenigen, die Mitte November mit schwarzen Mänteln und Masken durch Cottbus liefen, wollten laut Innenministerium »den demokratischen Rechtsstaat delegitimieren, die Entgrenzung des Rechtsextremismus vorantreiben und die Verschmelzung der Cottbuser Mischszene weiter forcieren«.

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