Das vergessene Traumtor

Maradona war nie glücklich in Barcelona - traf aber legendär

  • Sven Goldmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Diego Maradona hat nie Champions League gespielt. Es bleibt ein nicht zu tilgender Makel im Hochglanzprospekt des teuersten Fußballwettbewerbs der Geschichte, dass der beste Spieler der Geschichte nie einen Fuß für ihn krumm gemacht hat. Als die Uefa 1992 ihre neue Gelddruckmaschine anwarf, wagte Maradona beim FC Sevilla gerade ein letztes Engagement in Europa, es endete nach einem Jahr mit einem persönlichen Fiasko und sportlich weit jenseits der Plätze, die für eine Aufnahme in den großen Zirkus in Frage kamen.

Diego Maradona und Europa, das war nur eingeschränkt eine Liebesgeschichte, reduziert auf die Jahre in Italien, als er den SSC Neapel zweimal zum Scudetto führte. Aber im Pokal der Landesmeister war beide Male früh Schluss. Mit seinem ersten europäischen Klub, dem FC Barcelona schaffte er es nicht mal bis dahin. Der empfängt am Dienstag in der Champions League Juventus Turin, was vom Namen her viel verspricht, in der Wirklichkeit aber wenig hält, denn es geht nicht mehr um viel. Beide Mannschaften sind schon fürs Achtelfinale qualifiziert.

Maradona wurde als Mensch nie glücklich in Barcelona und blieb als Sportler ohne nachhaltigen Erfolg. Allerdings fiel in diese Phase das großartigste Tor des großartigen Diego. Nein, nicht der Sololauf von Mexiko gegen England, der lebt von seiner Überhöhung durch die Hand Gottes ein paar Minuten zuvor und das zeitgeschichtliche Paralleluniversum des Falkland-Krieges. Das Tor seines Lebens schoss Diego Maradona nicht in der Hitze von Mexiko für das geliebte Argentinien, sondern in der Kälte von Belgrad für den verhassten FC Barcelona.

Es geschah dies am 22. Oktober 1982 im Stadion Rajko Mitic von Belgrad, das alle nur Marakana nennen, weil es so ähnlich geschwungen ist wie die Fußballkathedrale in Rio de Janeiro. Alles beginnt damit, dass Francisco Carrasco, Maradonas bester Freund im Team, ihm den Ball an der Mittellinie überlässt. Maradona treibt ihn mit kurzen Schritten voran, acht Sekunden lang mit sieben Ballberührungen. Mit der achten löffelt er den Ball hoch in den Himmel der schwarzen Nacht über Belgrad (sehr viel höher als der tragische Uli Hoeneß an selber Stätte bei seinem Elfmeter im EM-Finale 1976). Die Flugkurve lässt sich schwerlich beschreiben, zur Nachzeichnung stellt man sich am besten einen von Obelix’ Hinkelsteinen vor. Mit reichlich Schnee oben drauf plumpst der Ball zurück ins Irdische und direkt hinter dem jugoslawischen Torwart ins Tor. 120 000 Belgradern stockt der Atem. Und dann jubeln sie. Lauter als bei den beiden Toren ihrer Mannschaft.

Emir Kusturica verliebte sich in diesem magischen Augenblick in Diego Maradona. 25 Jahre später macht sich der serbische Regisseur daran, einen Film über das dramatische Leben seines Helden zu drehen. Kusturica überredet Maradona zu einer Reise nach Belgrad und einem Besuch im Marakana. »Diego, zeig mir das Tor!«, ruft Kusturica über den Rasen. Kein Problem. In Lackschuhen löffelt Maradona den Ball in den Belgrader Himmel, der diesmal blau strahlt und nicht schwarz ist wie die Nacht, denn auch die Sonne will zuschauen beim Remake des vielleicht schönsten Tores aller Zeiten.

Zigtausende Nachrufe sind nach Maradonas Tod vor zwei Wochen verfasst worden, aber das Tor im Marakana hat dabei nicht einmal eine untergeordnete Rolle gespielt. Der FC Barcelona hielt vor zehn Tagen beim Heimspiel gegen Osasuna pflichtschuldig eine Schweigeminute ab und platzierte Maradonas Trikot im Mittelkreis. Sein später Nachfolger Lionel Messi reckte beide Hände Richtung Diego in den Himmel. Vorausgegangen war ein schönes, aber keineswegs spektakuläres Tor, auch das steht als Symbol. Lionel Messi ist ein fantastischer Fußballspieler, aber wird er je ein Diego Maradona werden?

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