Tadel aus Paris

Bislang ist die deutsche Wirtschaft vergleichsweise gut durch die Krise gekommen – das kann sich nach Corona ändern, warnt die OECD

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Weltwirtschaft sendet in dieser Woche viele Lebenszeichen. So ist das Vertrauen der Investoren für den Euroraum auf den höchsten Wert seit Februar angestiegen, Hoffnung auf Corona-Impfstoffe sei Dank. Auch die Produktion im deutschen Produzierenden Gewerbe für Oktober hat die Erwartungen übertroffen: Um 3,2 Prozent hat es, verglichen mit dem Vormonat, angezogen. Die Exporte der Volksrepublik China haben im November um mehr als ein Fünftel höher gelegen als vor Jahresfrist. Rekord. Eine zusätzliche Konjunkturspritze in Japan von umgerechnet rund 600 Milliarden Euro kann da nur weitere gute Laune verbreiten. Die herrscht erst einmal hauptsächlich an den Börsen: Die Akteure auf den Finanzmärkten feiern den bevorstehenden Aufschwung.

Vor allem von der anziehenden Nachfrage aus China dürfte auch ein Großteil der Wirtschaft in der Bundesrepublik profitieren. Ein Großteil der deutschen Produktion ist für den Export bestimmt. Dies gilt besonders für die Investitionsgüter des Verarbeitenden Gewerbes, Auto- und Chemieindustrie. Nun keimt Hoffnung vermehrt auf.

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Gleichzeitig hängt aber auch viel von der weiteren Entwicklung in Europa ab. In Spanien dürfte die Produktion des Verarbeitenden Gewerbes in diesem Jahr um zwölf Prozent fallen, in Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich werden Produktionseinbußen von elf Prozent erwartet. »Diese drastischen Rückgänge gefährden die wirtschaftliche Gesundung, gerade auch der stark vernetzten deutschen Wirtschaft«, befürchtet der Bundesverband der deutschen Industrie. Vordringliches Ziel müsse es daher sein, die Nachfrage nach Industriegütern grenzübergreifend weiter zu stärken. Dies darf als Aufforderung an alle EU-Regierungen verstanden werden.

Doch hinter der Corona-Krise lauern grundlegende Schwachstellen auch im deutschen Wirtschaftsmodell, warnt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Energiewende mit dem gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Atom bedrohe die Versorgungssicherheit des Landes, neue Technologien in der Automobilindustrie - Stichwort Elektromobilität - gefährden die Zukunft des industriellen Kerns. Und die digitale Transformation ist in vielen Staaten sehr viel weiter fortgeschritten.

»Die Infrastrukturausgaben, die für die digitale Transformation und die Rückführung des CO²-Ausstoßes entscheidend sind, waren bislang unzureichend«, kritisiert erstaunlich undiplomatisch die OECD in ihrem in Paris veröffentlichten »Wirtschaftsbericht Deutschland 2020«. Zwar wurden die öffentlichen Investitionen seit dem Jahr 2014 leicht erhöht, doch »zwanzig Jahre Investitionsschwäche haben hier eine Lücke gerissen«. Zudem werde die Umsetzung der neuen Projekte nun durch unzureichende Bau- und Verwaltungskapazitäten, die über Jahrzehnte zusammengestrichen worden waren, gebremst. Im internationalen Vergleich hinkt Deutschland bei öffentlichen Investitionen hinterher, auch dies zeigt der Bericht.

Die OECD empfiehlt daher eine grundlegende Modernisierung des deutschen Wirtschaftsmodells. Infrastrukturausgaben könnten »ein wesentlicher Motor der Erholung werden«, rät die Organisation. Weitere Ausgaben für emissionsarme Verkehrslösungen, Digitalisierung und Gesundheit seien notwendig. Zusammen mit dem sozialen Wohnungsbau, der frühkindlichen Bildung und den Stromnetzen seien dies die Schlüsselbereiche, in denen mehr Investitionen nötig seien. Finanziell böten die öffentlichen Haushalte dafür genügenden Spielraum.

Tadel aus Paris gibt es ebenfalls für die hohen Steuern auf Arbeitseinkommen. »Eine Verlagerung der Steuerlast auf Umweltsteuern, Grundsteuern und Steuern auf Kapitaleinkünfte würde besser Anreize und Effizienzsteigerungen bewirken«, riet OECD-Direktorin Isabell Koske auf einer virtuellen Pressekonferenz am Mittwoch. Gerade bei Umweltsteuern hinkt die Bundesrepublik ebenfalls hinter Frankreich oder Großbritannien weit hinterher.

Corona droht derweil, die Ungleichheiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu verstärken. Die Aufwärtsmobilität bei den Erwerbseinkommen sei gering und die coronabedingten Schulschließungen dürften das Leistungsgefälle zwischen sozial begünstigten und benachteiligten Schülern weiter vergrößern, befürchtet die Industriestaatenorganisation: »Junge Menschen, Frauen und Geringverdiener sind stärker von Arbeitslosigkeit bedroht, da sie häufig in Branchen tätig sind, die von der Krise besonders betroffen sind.« Deutschland sollte sich daher nicht auf die Lebenszeichen aus der Weltwirtschaft verlassen, sondern seine Hausaufgaben gut machen.

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