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Menschliche Abgründe
Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilt den Halle-Attentäter zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Die Nebenklage übt Kritik
Der Gerichtssaal in Magdeburg war fast in Gänze gefüllt. Journalisten und Besucher drängten auf die Stühle hinter der Glasscheibe, während die Prozessbeteiligten ein letztes Mal ihre vorgesehenen Plätze einnahmen. Alle trugen FFP2-Masken, um die Ausbreitung des Coronavirus in dieser für Pandemie-Zeiten ungewöhnlich dichten Atmosphäre zu verhindern. Die Blicke richteten sich gebannt und erwartungsvoll auf die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens, die an diesem 26. und letzten Prozesstag im Verfahren gegen den Halle-Attentäter sogleich das Urteil verkünden sollte.
Um kurz nach elf Uhr war es dann soweit: Mertens verurteilte den rechtsextremen Attentäter, der am 9. Oktober 2019 zwei Menschen tötete und viele weitere auf dem Gewissen hatte, zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung. Das Oberlandesgericht Naumburg sprach den 28-Jährigen des zweifachen Mordes und des versuchten Mordes in zahlreichen weiteren Fällen schuldig und stellte außerdem die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren so gut wie ausgeschlossen. Gegen das Urteil kann Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt werden.
Es sei ein »feiger Anschlag« gewesen, sagte Mertens bei der Urteilsverkündung. Viele Momente in dem Prozess seien unerträglich gewesen, der Angeklagte habe an vielen Stellen seine Taten und Motive relativiert. Direkt an den Angeklagten gewandt sagte sie: »Sie sind ein fanatisch ideologisch motivierter Einzeltäter. Sie sind antisemitisch, ausländerfeindlich. Sie sind ein Menschenfeind.«
Am 9. Oktober 2019 hatte der Attentäter versucht, die Synagoge in Halle zu stürmen und ein Massaker anzurichten. Nachdem er gescheitert war, tötete er zwei Menschen: die 40-jährige Jana Lange und den 20-jährigen Kevin Schwarze. Auf seiner Fluchtfahrt fuhr er den Schwarzen Adiraxmaan Aftax Ibrahim an und schoss in Wiedersdorf bei Halle zwei weitere Menschen an. Seit Juli saß er in Magdeburg vor Gericht, es war eines der größten Strafverfahren in der Geschichte Sachsen-Anhalts. Nebenklage-Anwältin Kati Lang sprach im »nd«-Interview von einer »historischen Bedeutung« des Prozesses, »weil wir es mit einem der schwersten antisemitischen Anschläge seit dem Ende des Nationalsozialismus zu tun haben«.
Der Zentralrat der Juden in Deutschland würdigte den Prozess und das Urteil gegen den Attentäter auf die Synagoge von Halle als wichtiges Zeichen gegen Antisemitismus. Das Verfahren sollte Vorbild für die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte in Deutschland sein, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster: »Nicht selten erleben wir in der Justiz eine Sehschwäche auf dem rechten Auge. Im Prozess gegen den Halle-Attentäter wurde hingegen genau hingesehen. Diese Haltung, nicht der Täter, sollte Nachahmer finden.«
Kritik an dem Urteil kam derweil von den Nebenklägern, die nach dem letzten Prozesstag eine Pressekonferenz vor dem Landgericht abhielten. »Das Urteil ist in seiner Begründung mutlos, harmlos und extrem entpolitisierend«, sagte Nebenklage-Anwältin Kristin Pietrzyk. Zwar habe der Senat den Betroffenen der Tat während des Prozesses Raum gegeben, doch das Urteil spiegele diesen Umstand nicht wider: »Der Senat hat die Kritik der Betroffenen an der Polizei weggewischt und sie zu einem Perspektivwechsel aufgefordert. Das ist, mit Verlaub, das Frechste, was ich jemals von einem Staatsschutzsenat gehört habe.«
Ilil Friedman, die Anwältin des angefahrenen Adiraxmaan Aftax Ibrahim, äußerte ihre Enttäuschung darüber, dass der Senat diesen Fall nicht als versuchten Mord wertete: »Es ist nicht nachvollziehbar und juristisch nicht haltbar. Der Senat hat sich mit den entscheidenden Argumenten überhaupt nicht auseinandergesetzt. Der Angeklagte hat eindeutig gesagt: Für einen weißen Menschen wäre er ausgewichen, für meinen Mandanten ist er das nicht.«
Auch Imbissbetreiber Ismet Tekin, der vom Attentäter beschossen wurde, musste eine juristische Niederlage einstecken. Der Senat wertete auch diesen Fall, anders als von der Nebenklage gefordert, nicht als versuchten Mord. »Das ist eine riesengroße Enttäuschung«, sagte Tekin auf der Pressekonferenz, richtete aber den Blick nach vorn: »Wir werden zusammenstehen und zusammenbleiben! Wir geben nicht auf, wir werden das Beste geben für diese Gesellschaft!«
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