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Höchststrafe gefordert

Plädoyer der Anklage im Prozess um den Mord an Walter Lübcke

  • Joachim F. Tornau
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bundesanwaltschaft hat für den Neonazi Stephan E. lebenslange Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung gefordert. Der 47-Jährige habe nicht nur den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen, sondern auch den irakischen Geflüchteten Ahmed I. heimtückisch niedergestochen und schwer verletzt, sagte Oberstaatsanwalt Dieter Killmer am Dienstag in seinem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Für den Mitangeklagten Markus H. verlangte er neun Jahre und acht Monate Gefängnis. Der 44-Jährige habe zum Mord an Lübcke »vorsätzlich Hilfe geleistet«, indem er seinen Freund im Hass auf den CDU-Politiker bestärkt und mit ihm das Schießen trainiert habe.

Beide Taten seien »rechtsextremistisch motivierte Anschläge« gewesen, betonte Killmer. Walter Lübcke, der am 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses erschossen wurde, habe sterben müssen, weil er sich für Menschenwürde, Toleranz und eine flüchtlingsfreundliche Politik eingesetzt habe.

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Ahmed I., niedergestochen am 6. Januar 2016, sei von E. allein aus rassistischen Gründen attackiert worden: »Er wollte ihn töten, weil er Flüchtlinge und Asylsuchende hasst.« Der Iraker, heute 27 Jahre alt, hatte in jener Geflüchtetenunterkunft in Lohfelden bei Kassel gelebt, über deren Einrichtung Lübcke bei einer von Rechten, unter ihnen auch die beiden Angeklagten, gestörten Bürgerversammlung im Oktober 2015 informiert hatte.

Nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft handelte E. stets als Einzeltäter in Umsetzung des von Neonazis propagierten Konzepts des »führerlosen Widerstands«. »Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen: In seinem Hass stand er nicht allein.« Ohne psychische Unterstützung, »offline wie online«, wäre es wohl nicht zu den Taten gekommen, sagte Killmer. Und insbesondere nicht ohne die Unterstützung durch Markus H.

Der Mitangeklagte sei zwar »möglicherweise« nicht in den konkreten Plan zur Ermordung Lübckes eingeweiht gewesen, so der Oberstaatsanwalt. Doch er habe es für möglich gehalten, dass sein Freund einen Politiker ermorden könnte, um ein »Fanal« gegen die Flüchtlingspolitik zu setzen.

Stephan E. hatte Markus H. vor Gericht zum Mittäter eines von langer Hand geplanten Mordes erklärt. Es war die jüngste von mittlerweile dreieinhalb verschiedenen Tatversionen, die der Neonazi seit seiner Festnahme aufgetischt hat. Die Bundesanwaltschaft aber nahm ihm das nicht ab. Killmer zeigte sich in seinem Schlussvortrag überzeugt, dass das bereits der Anklage zugrunde liegende erste Geständnis der Wahrheit am nächsten komme. Damals, gut drei Wochen nach dem Mord, hatte E. die Tat noch allein auf sich genommen. Dieses wortreiche erste Geständnis, sagte Killmer, sei reflektiert, anschaulich und detailliert gewesen - und damit ganz anders als alles, was der Angeklagte später gesagt habe. Und: »Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keine Gelegenheit, seine Angaben dem Ermittlungsstand anzupassen.« Was er bis zuletzt immer wieder getan habe.

Den Mordversuch an Ahmed I. hält die Bundesanwaltschaft vor allem wegen eines bei E. gefundenen Klappmessers für erwiesen. Die daran entdeckten DNA-Spuren passen zum Opfer und enthalten einige äußerst seltene Merkmale. Auch wenn sie zu schwach waren für eine eindeutige Identifizierung, sprach Killmer von einer »erdrückenden Beweislage«. Eine von der Verteidigung präsentierte Quittung, nach der E. ein Messer der betreffenden Marke erst 24 Tage nach der Tat gekauft hat, sei daher ohne Gewicht.

Das Gericht hat allerdings bereits deutlich gemacht, dass ihm die Beweise für die Täterschaft von E. im Fall Ahmed I. wohl nicht reichen werden. Und bei Markus H., der schon vor Wochen mangels dringenden Tatverdachts auf freien Fuß gesetzt worden war, ist eine Verurteilung wie gefordert eher unwahrscheinlich.

Der Prozess wird am 12. Januar mit den Plädoyers der Nebenklage fortgesetzt. Das Urteil soll Ende Januar verkündet werden.

Schon am Dienstag entschied das Gericht, dem Untersuchungsausschuss, den der hessische Landtag zum Lübcke-Mord eingesetzt hat, die Verfahrensakten zur Verfügung zu stellen. Bislang hatte es das mit Verweis auf den laufenden Prozess verweigert. Hermann Schaus (Linke), Vizechef des Lübcke-Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags, sagte dem »nd«, die Entscheidung des Senats komme sehr spät: »Die Behinderung der Ermittlungsarbeit des Ausschusses durch das Gericht bleibt eine Tatsache.«

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