Corona, die Heilige

Sie kämpfte gegen das Imperium

  • Michael Ramminger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Heilige Corona, die »Gekrönte«, gehört zu den frühen Märtyrerinnen der christlichen Kirche. Viel wissen wir nicht von ihr. Sie soll als 16-Jährige hingerichtet worden sein, indem man sie zwischen zwei gespannten Palmen zerriss. Sie gilt in Österreich und Bayern tatsächlich als Schutzheilige gegen Seuchen und Krankheiten. Angesichts der hohen Inzidenzen in Bayern kommt man da ins Zweifeln: Fehlt es den Bayern an aufrichtigem Glauben, oder hat politische Unvernunft über den unvernünftigen Aberglauben der Katholik*innen gesiegt?

Die Heilige Corona ist umgebracht worden, weil sie Gefangene versorgte, zu denen wohl auch ihr Mann oder Vater (das bleibt im Nebel der Legenden ungewiss) gehörte, der als römischer Soldat nicht von seinem Glauben ablassen wollte. Sollte dies in der Zeit des Kaisers Diokletian gewesen sein, dann durfte er sich als Berufssoldat nicht öffentlich zum Christentum bekennen. Das Römische Reich hatte ja auch genug damit zu tun, den eigenen Laden zusammenzuhalten, um die Ernte von Datteln, Feigen und Zitrusfrüchten im Osten um Damaskus herum, wo das Martyrium stattgefunden haben könnte, sicherzustellen. Denn die wurden, ebenso wie der dort hergestellte Wein für den Konsum im italienischen Kernreich dringend benötigt.

Und noch etwas anderes wird zum Martyrium des jungen Mädchens geführt haben. Vom griechischen Philosophen Kelsos sind folgende Sätze überliefert, die mit der allgemeinen Einschätzung der Christen dieser Zeit übereinstimmen: »›Niemand kann zwei Herren dienen‹, sagen die Christen. Dieses aber ist eine Stimme des Aufruhrs derer, welche sich selbst von den anderen absperren und sich von der Gemeinschaft losreißen wollen.« Die Tatsache, dass sich die Christ*innen von der damaligen Gesellschaft fernhielten und deren Werte und Gebräuche verweigerten, wurde ihnen schon als Aufruhr ausgelegt. Der Christenfeind Kelsos ahnte, dass sich in den christlichen Gemeinden die kleinen Leute zusammenfanden, um ihr Leben und ihre Hoffnung zu besprechen. Social Distancing und Selbstsegregation waren Versuche, in der imperialen Gesellschaft zu überleben.

Es hat Corona nichts genutzt, irgendwann war ihr Glaube nicht mehr zu verbergen, ihr Tod war besiegelt. Corona, die Schutzpatronin gegen Seuchen kann also für den Sinn von Quarantäne und Social Distancing nicht herangezogen werden. Aber es war ja auch nicht die Selbstisolation, sondern die Verweigerung des Kaiserkultes, die den Christen dieser Zeit den Tod brachte. Und auch heute wissen wir, dass Social Distancing und Quarantäne nicht nur ein Mittel gegen den Tod sein sollen, sondern vor allem auch deshalb gegen das Virus beschworen werden, damit die »systemrelevanten« Bereiche wie die Ökonomie und insbesondere die Geldwirtschaft weiterlaufen können.

Das bringt uns zum nächsten Punkt: »Corona«, die Krone, ist auch ein Zahlungsmittel. Die arme Corona, die angetreten war, in offenem Konflikt mit den Herrschenden und in Solidarität mit ihrem Glaubensgenossen Victor von Siena an ihrer Überzeugung vom Kommen eines Imperiums festzuhalten, in dem sie und ihresgleichen ein Leben in Würde führen können, ist auch zur Schutzpatronin in Geldangelegenheiten, der Lotterie und der Schatzgräber geworden. Was all den Krisengewinnlern des letzten Jahres plausibel sein dürfte. Wir aber erinnern daran, dass der Name »Corona«, die Gekrönte, auf den Begriff Märtyrer*in hinweist: auf ein konsequentes Leben im Kampf gegen das Imperium.

Und das die Heilige Corona schlussendlich auch noch zur Schutzpatronin der Metzger avancierte, muss einen nachdenklich machen. Die industrielle Fleischnahrungsmittelproduktion, inklusive der dafür notwendigen Naturzerstörung, um Futterstoffe oder Weideland vorhalten zu können, ist - wie wir wissen - ein nicht unerheblicher Grund dafür, dass Covid wohl nicht das letzte Virus gewesen sein wird, mit dem wir es zu tun haben. Wir bräuchten wohl mehr von den damaligen Christ*innen, von Corona, dem 16-jährigen Mädchen, und ihrem Mut zum Aufruhr, um unseren Problemen etwas entgegensetzen zu können.

Michael Ramminger vom Institut für Theologie und Politik in Münster gab in diesem Jahr mit Philipp Geitzhaus »Ereignis, Freiheit, Transzendenz. Auseinandersetzungen mit Alain Badiou« (Edition ITP, 14,80 €) heraus; 2018 erschien von ihm (mit Michael Segbers) »›Alle Verhältnisse umzuwerfen ... und die Mächtigen vom Thron zu stürzen.‹ Das gemeinsame Erbe von Christen und Marxisten« (VSA, 16,80 €).

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