»Ich muss nicht Christ werden, um Weihnachten zu feiern«

Unabhängig von der Religion lässt sich Feiertagen auch in Zeiten notwendigen Verzichts etwas Gutes abgewinnen

  • Cyrus salimi-Asl
  • Lesedauer: 3 Min.
Seien wir mal ehrlich. Wirklich erholsam ist die Weihnachtszeit eigentlich nie, dafür ist zu viel Stress: Geschenke aussuchen, Oma nicht vergessen anzurufen, Grußkarten verschicken … Von wegen Besinnlichkeit. Da haben's Muslime doch besser, die können ja kein Weihnachten, haben aber trotzdem frei. Und die armen Christen? Müssen sich mal wieder in Stimmung trinken für die Festtage. Diesmal im Lockdown in der eigenen Bude.
Aber beileibe nicht allen Muslimen ist Weihnachten piepegal. »Auch für mich als Muslim ist Weihnachten eine besinnliche Zeit«, sagt Mouhanad Khorchide dem »nd«. Er ist Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und leitet dort das Zentrum für Islamische Theologie. In seiner Wohnung hat er auch einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Weihnachten sei eine »spirituelle Zeit«, man könne in sich gehen. »Warum sollten Muslime Weihnachten nicht mitfeiern«, fragt er, »nicht als religiöse Feier, sondern als kulturelle Tradition«. Jesus werde mehrfach im Koran erwähnt und gelte Muslimen als Prophet. Er sieht also keine Hürden: »Ich muss nicht Christ werden, um Weihnachten zu feiern.«
So hält es wohl auch Mohamad Daya. Der 58-jährige Libanese lebt seit Juli in Berlin, 1986 hatte er in Leipzig studiert. Früher trainierte er die libanesische Ringer-Nationalmannschaft. Im Libanon sei er zu Weihnachten mit Freunden ins Restaurant essen gegangen, erzählt er dem »nd«. Er hatte eine christliche Freundin. »Ich habe meinen christlichen Freunden auch Weihnachtsgeschenke gegeben«, erinnert er sich. Konfessionelle Unterschiede spielten für ihn keine Rolle. »Ob Sunnit, Schiit, Druse oder Christ, das ist doch egal. Ich bin ein normaler, ein freier Mensch«, sagt er. Hier in Berlin sei er aber recht einsam wegen des Lockdowns.
Und wie halten es Christen mit den islamischen Feiertagen? Mohamad Daya erhält zum Beispiel Anrufe seiner christlichen Freunde mit Glückwünschen zum Eid Al-Fitr (Zuckerfest) oder Eid Al-Adha (Opferfest). »Es wäre spirituell und religiös bereichernd, wenn wir unsere religiösen Feste, ob jüdische, christliche oder muslimische, gemeinsam feiern«, meint Ahmad Milad Karimi, Professor für Islamische Philosophie an der Universität Münster, gegenüber dem »nd«.
In Corona-Zeiten haben die Muslime den Christen eins voraus: Sie haben bereits Erfahrung mit Ramadan und Opferfest unter Kontaktbeschränkungen. Was bedeutet das für den einzelnen? Mouhanad Khorchide weiß von jungen Muslimen, die das Zuckerfest ohne Corona-Vorsichtsmaßnahmen gefeiert hätten und dies heute bereuten, da es zu Infektionen und sogar Toten kam.
»Wir sind angehalten, uns in Verzicht zu üben. Im Ramadan, der auch ein Fest der Gemeinschaft und Gemeinschaftlichkeit ist, mussten wir Muslime uns darauf besinnen, was der eigentliche Sinn des Fastenmonats ist«, sagt Professor Karimi. Zu Weihnachten müssten sich die Menschen deshalb auch fragen, was genau gefeiert werde. Es sei jedenfalls nicht wie sonst ein Fest des »Konsums« und der »Verschwendung«. Weihnachten bedeute in diesem Jahr, zu erkennen, »dass wir uns zwar nicht gegenseitig berühren können, aber durchaus uns von dem berühren lassen können, wofür unsere Herzen sonst geschlossen sind. Damit wird Weihnachten zu einem interreligiösen Fest«, schließt Ahmad Milad Karimi.
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