Kollision kurz vor dem Ziel

Boris Herrmann segelte bei der Vendée Globe 80 Tage allein um die Welt – ein Fischerboot nahm ihm in der letzten Nacht die Siegchance

  • Olek Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit zwei Leuchtfackeln begrüßte Boris Herrmann die Beiboote, die ihn kurz vor dem Ziel empfangen. Unter den fünf Bestplatzierten fährt der erste Deutsche der Vendée Globe in den Hafen der Kleinstadt Les Sables-d’Olonne ein. Seine Erleichterung ist ihm anzusehen. Denn auf den letzten Kilometern war es für den stets so konstant fahrenden Herrmann noch mal kritisch geworden.

Kurz vor der französischen Atlantikküste kollidierte der 39-jährige mit einem Fischerboot. Seine »Sea-Explorer« wurde dabei stark beschädigt und eine seiner zwei Tragflächen, die das Boot eigentlich dynamisch über das Meer gleiten lassen sollen, brach. Auch ein Segel riss bei dem Unfall. Glück für Herrmann: Die Sea-Explorer bekam kein Leck und er konnte die letzten 85 Seemeilen zu Ende segeln, wenn auch nur mit verringerter Geschwindigkeit.

Eigentlich hätten den Segler viele technische Hilfsmittel an Board vor dem Hindernis warnen sollen, doch keines schlug in der Dunkelheit Alarm. Über seinen Youtube-Kanal, auf dem Herrmann täglich von seiner Reise berichtet hat, beschrieb er nach dem Unfall die Vorkehrungen, die er getroffen hatte: »Ich habe extra gecheckt, ob alles richtig funktioniert. Ich habe das Radar beobachtet, wie exakt es Schiffe ortet, alles war perfekt. Ich verstehe es nicht.« Vermutlich habe der Fischer seine Ortungsgeräte ausgeschaltet. Ausgerechnet zum Zeitpunkt des Aufpralls hatte sich Herrmann, wahrscheinlich zum letzten Mal, in die Koje gelegt.

Der Hamburger hatte vor dem Unfall noch sehr gute Chancen auf das Treppchen. Er segelte mit den Franzosen Charlie Dalin, Louis Burton und Yannik Bestaven in der Spitzengruppe. Einige glaubten sogar an einen Sensationssieg des überhaupt ersten Deutschen bei einer Vendée Globe. Seit 1989 gibt es alle vier Jahre die legendäre Weltumseglung, bisher gewann stets ein Franzose.

Nun konnte sich wieder einer die Trophäe sichern: Yannik Bestaven. Dieser segelte zwar als Dritter ins Ziel, jedoch wurden ihm, für die Hilfe bei der Suche des im Dezember havarierten Kevin Escoffier, gut zehn Stunden von der Jury gutgeschrieben. Escoffiers Boot war nach vier Wochen in einem Sturm zerbrochen, und der Segler hatte sich gerade noch in sein Rettungsboot flüchten können. Nach zwölfstündiger Suche konnte ihn sein Kontrahent Jean le Cam aus bis zu sechs Meter hohen Wellen bergen. Auch Boris Herrmann war an der Suche beteiligt gewesen und bekam eine Zeitgutschrift von sechs Stunden.

Außer, dass ihm nach etwa einem Drittel der Strecke seine Hydrogeneratoren auf Grund zu hoher Geschwindigkeit kaputt gegangen waren, kam der Deutsche als einer der wenigen ohne große Schäden um die Welt. Dabei hatten die spektakulären Naturgewalten auch sein Segelboot stark beansprucht. Die Generatoren sind eine von drei Stromquellen, neben Solarpanels und einem Dieselmotor, mit dem die technischen Hilfsmittel elektrisch versorgt werden. Das Problem konnte der 39-jährige aber nach einem Tag beheben und kämpfte sich danach konstant weiter nach vorn.

Immer wieder sprach Boris Herrmann im Verlauf der Vendée Globe davon, dass er vor allem ins Ziel kommen will. Acht andere Boote hatten so große Schäden erlitten, dass ihre Segler das Rennen abbrechen mussten. In der letzten Woche der Reise änderte sich jedoch Herrmanns die Mentalität ein wenig. Er berichtete mit Blick auf die Platzierung gegenüber dem ZDF: »Hier wird kein Meterchen zurückgelassen. Ich versuche absolut alles, um so schnell wie möglich zu segeln.« Kurz vor dem nächtlichen Aufprall, lag er dann auch unter den ersten Drei.

Dennoch wirkte Boris Hermann bei seiner Einfahrt in den sicheren Hafen der Region Vendée völlig erleichtert. Sein persönliches Ziel, sicher anzukommen, hat er mehr als erfüllt. Wie Phileas Fogg aus Jules Vernes »Reise um die Erde in 80 Tagen« segelte Herrmann in der gleichen Zeit über die Weltmeere - nur eben allein und nicht in Begleitung Passepartouts. Vielleicht hätte der Franzose das Fischerboot gesehen.

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