»Wir fangen gerade erst an!«

Politische Architektur: Die Rechte greift die Symbol-Orte der Gesellschaft an

  • Falk Schreiber
  • Lesedauer: 5 Min.

Viel wurde geschrieben über die Geschehnisse am 6. Januar in Washington. Da fand ein Putsch statt, ein Operettenputsch, ein Instagram-Aufstand, alles richtig - alles haarscharf am Thema vorbei. Denn tatsächlich fand politisch gar nichts statt. Ein Mob drang in das Parlamentsgebäude ein, wusste nicht, was er dort machen sollte, und ließ die Sau raus. Der Randalierer Richard Barnett stürmte das Büro von Nancy Pelosi, der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, lümmelte auf ihrem Sessel und legte die Füße auf ihren Schreibtisch. Politisch war daran erst mal nichts. Um ehrlich zu sein, war Barnett wohl auch intellektuell nicht in der Lage, ein politisches Ziel zu formulieren.

Politisch war allerdings der Ort, an dem sich das Geschehen abspielte. Denn Barnett benahm sich nicht in einem x-beliebigen Büro daneben, er besetzte einen öffentlichen Ort. Gerhard Matzig hat in der »Süddeutschen Zeitung« genau beschrieben, dass mit dem Kapitol ein architektonisches Symbol geschändet wurde: »Es gehört weltweit zu den bekanntesten Architekturen politischer, vor allem aber demokratischer Macht«, schreibt der Architekturjournalist. »Das auf einem Hügel erbaute Kapitol (dessen Name dem Kapitolinischen Hügel in Rom entlehnt ist) sollte die Macht der Republik weithin sichtbar erstrahlen lassen. Die ›res publica‹ aber ist die Idee vom öffentlichen Gut. Auch deshalb sind hier eigenartige Säulenkapitelle in Form von Tabakblättern, Maiskolben und Magnolienblüten zu sehen.«

Das ist genau beobachtet, geht aber nicht weit genug. Matzig endet damit, dass der in Pelosis Büro flegelnde Barnett in seiner Stumpfheit den eigenen Palast beschmutzen würde; tatsächlich aber kann man das Verhalten des Randalierers auch anders lesen. Nämlich als Aktion eines Menschen, der ganz genau weiß, was er tut: weil der Angriff auf das »öffentliche Gut« eine Tradition in der Rechten hat, womöglich sogar ihr politischer Markenkern ist.

In einer Demokratie ist ein Parlamentsgebäude als Immobilie ein öffentliches Gut, gemeinschaftlich verwaltet in einem Res-publica-Sinne. Ähnlich verhält es sich mit Institutionen wie dem öffentlichen Personennahverkehr, dem öffentlichen Bildungswesen oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Oder dem durch die öffentliche Hand geförderten Kulturleben, zum Beispiel die Stadt- und Staatstheater. Und hier zeigt sich ein Muster. ÖPNV, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Theater, all das sind Institutionen, die gerade in der Bundesrepublik unter Beschuss von rechts stehen. Natürlich gibt es auch inhaltliche Gründe, weswegen Rechte diese Institutionen ablehnen, tatsächlich aber sind das vorgeschobene Argumente. In Wahrheit geht es darum, dass man es hier mit öffentlichen Gütern zu tun hat.

»Ich würde meine Kinder in Berlin nicht mit der U-Bahn fahren lassen«, behauptet der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen und begründet das mit der angeblich bedrohlichen Migrantenkriminalität im hauptstädtischen Nahverkehr - eine Begründung, die nachweislich nicht stimmt. Was aber auch egal ist, weil es Meuthen in Wahrheit gar nicht um Kriminalität geht, sondern darum, den ÖPNV überhaupt infrage zu stellen. Man sieht diese Strategie bei Online-Diskussionen zum Bahnfahren: Kaum behauptet jemand, den ÖPNV zu nutzen, tauchen Kommentare mit rechtem Hintergrund auf, die alle öffentlichen Verkehrsmittel verdammen. Zu unbequem seien die, zu gefährlich, in Corona-Zeiten Ansteckungsherde, und überhaupt, die Mitfahrer! Außerdem seien sie gleichzeitig zu teuer und würden zu hoch bezuschusst - und dass dieser offensichtliche Widerspruch niemandem auffällt, zeigt, wie sehr die Rechte den Diskurs nach ihren Vorstellungen lenken kann.

Ganz ähnlich argumentieren die Rechten, wenn es um Theater geht. Natürlich findet die AfD es nicht toll, wenn Theatermacher*innen sich öffentlich gegen rechts positionieren, aber im Grunde interessieren sie sich für solche inhaltlichen Fragen überhaupt nicht. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Beispiel tut sich im Vergleich zum Theater schwerer mit der Abgrenzung gegen rechts, dennoch ist es ein Lieblingsfeind der AfD. Dass aber die Theater von rechts kontinuierlich angegriffen werden, hat mit der Förderung durch Kommunen oder Länder zu tun - die meisten deutschen Theater sind öffentliche Güter, auch wenn die deutschen Stadt- und Staatstheater häufig als GmbHs organisiert sind und damit zumindest auf dem Papier durchaus auf Marktgesetze bauen.

Zudem sind Theater - und da schließt sich der Kreis zum Kapitol - meist repräsentativ im Stadtbild sichtbar. Theatergebäude stehen in den Zentren der Städte und positionieren sich bewusst in Nachbarschaft zur politischen und wirtschaftlichen Macht, wie die Doppelanlage der Bühnen Frankfurt zwischen den Wolkenkratzern der Finanzindustrie. Oder die Münchner Kammerspiele zwischen den Luxusboutiquen der Maximilianstraße. Oder auch das Berliner Ensemble, das Ex-Intendant Claus Peymann einst als »Reißzahn im Regierungsviertel« bezeichnet hatte, was einerseits eine romantisierende Vorstellung von politischer Theaterarbeit ist, andererseits aber zeigt, wie man sich hier auf Augenhöhe mit der Politik begeben kann, zumindest städtebaulich.

Ein Theaterbau ist eine architekturgewordene Provokation gegen rechts, ein Gebäude, das der Gesellschaft sagt: Das ist euer Haus, hier könnt ihr eure Themen verhandeln, ähnlich wie die Deutsche Bank im Nachbarhochhaus ihre Themen verhandelt. Die Rechte stellt dem das Narrativ entgegen, dass die Theater eben nicht der Gesellschaft gehören würden, sondern einer kleinen Elite, die sich ihr »Privatvergnügen« (eine immer wieder auftretende Formulierung in der Auseinandersetzung mit Rechten) vom einfachen Volk bezahlen ließe - vom Volk, das im Theater selbst gar nichts verloren habe.

Zum Abschluss noch eine subjektive Erinnerung: Am 24. September 2017, am Tag der Bundestagswahl, war ich im Theater. Es war die Nachmittagsvorstellung von »Vor dem Fest« am Staatstheater Schwerin; die Wahlergebnisse bekam ich während der Vorstellung nicht mit. Im Anschluss stand ich im Foyer und starrte ungläubig auf mein Handy: 12,6 Prozent für die AfD, die Rechten bildeten die drittstärkste Fraktion! Und plötzlich sprach mich ein Mann mittleren Alters an, blond, Anzug, bisschen zu aufgekratzt: »Schauen Sie nicht so entsetzt!«, rief er mit sich leicht überschlagender Stimme. »Wir fangen gerade erst an!« Und im Fortgehen: »Ich bin von der AfD!« Diese Mischung aus Adrenalinüberschuss, Dreistigkeit und Dummheit entdeckte ich wieder am 6. Januar, bei Richard Barnett, dem Randalierer im Büro von Nancy Pelosi: ein Widerling, der die Stimme des Volkes sein möchte, aber in Wahrheit gerade der Bevölkerung das Zuhause kaputt schlägt.

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