Staatshaftung für fehlerhafte Verordnung?

fragen & antworten: Miete zu hoch - Mietpreisbremse zieht nicht

  • Anja Semmelroch
  • Lesedauer: 4 Min.

Wegen Behördenpannen beim Start der Mietpreisbremse zahlen viele Betroffene dauerhaft zu viel Miete - und auf diesen Mehrkosten bleiben sie auch sitzen. Schadenersatzansprüche gegen das verantwortliche Land bestehen grundsätzlich nicht, urteilte der Bundesgerichtshof (Az. III ZR 25/20) in Karlsruhe am 28. Januar 2021 in einem Pilotverfahren aus Hessen. Damit ist der Versuch eines Rechtsdienstleisters, den Staat für die Nachteile haftbar zu machen, in letzter Instanz gescheitert.

In Hessen und etlichen anderen Bundesländern haperte es bei der Umsetzung. Laut Bundesgesetz muss jede Mietpreisbremsen-Verordnung zwingend begründet werden. Aber damit nahm man es vielerorts nicht so genau. Inzwischen haben deshalb Gerichte in Bayern, Hamburg, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Brandenburg und Niedersachsen die ursprünglichen Verordnungen für unwirksam erklärt. Sie mussten neu erlassen werden.

Wie funktioniert eigentlich die Mietpreisbremse?

Seit Juni 2015 können die Landesregierungen zeitlich befristet »Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten« ausweisen. Dort dürfen Vermieter, wenn neue Mieter einziehen, nur noch maximal zehn Prozent mehr als die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete verlangen. Maßstab ist der jeweilige Mietspiegel. Es gibt aber Ausnahmen, zum Beispiel bei neu gebauten oder modernisierten Wohnungen oder wenn der Vorgänger-Mieter bisher auch schon mehr gezahlt hat.

Was bedeutet diese Regelung für die Mieter?

Vermieter müssen sich in den ausgewiesenen Gebieten an die Obergrenze halten. Trotzdem kann es Mietern passieren, dass zu viel verlangt wird und sie die Absenkung der Miete erst durchsetzen müssen, teilweise sogar vor Gericht. Dafür müssen sie den Vermieter nach Einzug so schnell wie möglich rügen. Erst bei seit April 2020 geschlossenen Verträgen kann zu viel gezahlte Miete unter bestimmten Bedingungen auch für frühere Monate zurückgefordert werden.

Welche Folgen das hat aktuell für die Mieter?

Solange es keine gültige Verordnung gibt, können sich Mieter nicht auf die Mietpreisbremse berufen. In dem Fall wehrten sich Mieter aus Frankfurt am Main daher vergeblich gegen eine zu hohe Miete. Sie hatten sich beim Einzug Anfang 2017 für ihre 67-Quadratmeter-Wohnung auf eine Kaltmiete von 11,50 Euro pro Quadratmeter eingelassen. Ortsüblich waren damals 7,45 Euro pro Quadratmeter. Die neue Verordnung nützt ihnen nichts. Denn die Mietpreisbremse greift nur beim Einzug.

Worum ging es jetzt vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe?

Um die Frage, ob solche Mieter auf ihrem Schaden sitzenbleiben oder der Staat dafür aufkommen muss. Der Rechtsdienstleister Conny GmbH (früher Wenigermiete.de), der mit Hilfe eines Internet-Rechners Forderungen gegen Vermieter prüft und eintreibt und auch für die Frankfurter Mieter geklagt hat, wollte am Beispiel Hessen ein Grundsatzurteil erstreiten. Gründer und Geschäftsführer Daniel Halmer wirft den Behörden vor, schlampig gearbeitet zu haben. »Millionen von Bürgern zahlen deshalb viel zu viel Miete«, argumentierte er. Die Klage zielte darauf ab, dass die Länder den Betroffenen die zu vielbezahlte Miete erstatten müssen - vom Einzug bis zum Auszug. »Im Schnitt könnten Mieter mit der Mietpreisbremse jeden Monat 150 bis 200 Euro sparen. Über alle Bundesländer hinweg sind das schnell Milliardenbeträge«, sagt er.

Für Schadenersatzansprüche sehen die BGH-Richter aber keine Grundlage. Denn nach der langjährigen Rechtsprechung des BGH ergeben sich aus Gesetzen und Verordnungen grundsätzliche keine Amtshaftungspflichten, weil sie sich an die Allgemeinheit richten.

Ausnahmen gibt es nur, wenn bestimmte Einzelpersonen unmittelbar betroffen sind. Das sehen die Richter hier nicht: Die Verordnung habe sich immerhin auf 16 Gemeinden in Hessen bezogen, darunter die fünf mit den meisten Einwohnern, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann.

Der BGH lehnte auch Schadenersatz wegen eines Eingriffs in Grundrechte ab. Gerade die Handlungsfreiheit sei eigentlich bei so gut wie jedem Gesetz berührt, so Herrmann. Eine so erhebliche Ausweitung der Staatshaftung könne nicht von Richtern vorgenommen werden. Das müsse der Gesetzgeber tun, wenn er Bedarf sehe.

Daniel Halmer will als nächsten Schritt nun die Aussichten einer Verfassungsbeschwerde prüfen. Schließlich hätte sich die Frage nach der Haftung nicht nur in Hessen, sondern auch in anderen Bundesländern gestellt. Gerade in der Corona-Pandemie seien in anderem Zusammenhang Verordnungen von Gerichten immer wieder gekippt worden. dpa/nd

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