Wird Ärzten die Hilfe zum Suizid erlaubt?

noch in diesem jahr eine entscheidung über die sterbehilfe

Sterbewillige Menschen dürfen für einen beabsichtigten Suizid nicht einfach tödliche Arzneimittel kaufen. Zwar hätten sie ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, müssten aber hierfür aktiv nach helfenden Menschen suchen, sich um eine ärztliche Verschreibung bemühen oder auf anderem Weg ihr Recht verfolgen, entschied das Bundesverfassungsgericht (Az. 1 BvR 1837/19) in Karlsruhe einem am 5. Februar 2021 veröffentlichten Beschluss.

Anträge abgelehnt
Weit über 200 Anträge von Sterbewilligen für die Erlaubnis, ein tödlich wirkendes Medikament zu erwerben, sind seit März 2017 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingegangen. Doch auf Weisung des Bundesgesundheitsministeriums ist bislang kein einziger Antrag zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital genehmigt worden.

Dem Vernehmen nach liegen dem Verwaltungsgericht Köln über zehn Klageverfahren in dieser Sache vor. Darin vertritt das BfArM die Auffassung, die Erlaubnis für den Erwerb von Natrium-Pentobarbital sei dann zu versagen, wenn die Verwendung - hier der Suizid - nicht mit dem Zweck des Betäubungsmittelgesetzes vereinbar ist. joh

Sind Betroffene der Auffassung, dass dies aussichtslos ist, müssten sie zunächst Rechtsschutz bei den Fachgerichten suchen, so die Richter und wiesen die Verfassungsbeschwerde eines Ehepaares (84 und 77 Jahre alt) als unzulässig zurück. Um sich und ihren Angehörigen einen jahrelangen Verfall und qualvollen Tod zu ersparen, hatte das Ehepaar beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte beantragt, eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital kaufen zu können. Sie wollten selbstbestimmt sterben können.

Das Bundesverwaltungsgericht (Az. 3 C 6.17) in Leipzig hatte als Vorinstanz im Mai 2019 das Verlangen des Ehepaares mit der Begründung abgelehnt, dass Bürger nach den gesetzlichen Bestimmungen keinen generellen Anspruch auf Zugang zu Medikamenten für eine schmerzlose Selbsttötung hätten. Ausnahmen könne es höchstens bei unheilbaren Erkrankungen geben.

Das Bundesverfassungsgericht (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.) hatte in einem Grundsatzurteil vom 26. Februar 2020 entschieden, dass Menschen ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben haben und somit auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaubt sei. Allerdings ist das nach bisheriger Rechtsprechung generell und Ärzten nach dem Standesrecht verboten. Das Gericht erklärte das strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig und dass zumindest unter strafrechtlichem Blickwinkel solche Suizidbeihilfe-Leistungen durchaus angeboten werden können.

Durch diese Urteil gilt in Deutschland wieder die Rechtslage von vor 2016, wonach Sterbehilfeorganisationen Suizidassistenz leisten dürfen. Deshalb legte das Gericht dem Bundestag nahe, die organisierte Sterbehilfe erneut zu regulieren und die Suizidprävention zu verbessern.

Eine breite und kontroverse Debatte

Das Grundsatzurteil löste eine kontroverse Diskussion über die Konsequenzen der Suizidassistenz im Bundestag, unter Ärzten, innerhalb der Kirchen und nicht zuletzt in der Öffentlichkeit aus. Dabei liegen die Auffassungen über die Suizidprävention weit auseinander.

So verwies der Präsident der Ärztekammer, Klaus Reinhardt, darauf, wenn das Bundesverfassungsgericht festgestellt habe, dass der Staat keine Berechtigung habe, anderen Menschen die Hilfe zur Selbsttötung zu untersagen, »dann können wir als Ärzte mittelbar in unserer Berufsordnung, die eine untergesetzliche Norm ist, das eigentlich auch nicht«. Es sei daher »denkbar, das in der Berufsordnung enthaltene Verbot ersatzlos zu streichen«.

Eine Auffassung, die von einer Gruppe von Abgeordneten geteilt wird. Denn inzwischen liegen zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe verschiedener Gruppen von Bundestagsabgeordneten zur Neuregelung der Sterbehilfe vor. »Wir brauchen Rechtssicherheit für diejenigen, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchten und für die, die helfen wollen«, betont die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr. Sie gehört zusammen mit Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Linke) zu den Initiatoren eines Gesetzentwurfs, den sie im Januar vorstellten. »Wir dürfen uns als Gesetzgeber nicht mit unseren vielleicht bestehenden Moralvorstellungen über die Selbstbestimmung von Menschen setzen«, so Helling-Plahr. Rechtlich abgesichert müsse aber sein, »dass die Person tatsächlich selbst handelt«.

Ärztliche Hilfe für Sterbewillige

Der Entwurf der überparteilichen Gruppe soll es Ärzten erlauben, Sterbewilligen tödlich wirkende Medikamente zu verschreiben. Um Ärzten die Abgabe der Mittel zu ermöglichen, soll das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Ärzte könnten die Mittel dann verschreiben, wenn diese dafür bestimmt sind, dass sich der Patient damit das Leben nimmt. Dass Ärzten per Standesrecht die Hilfe bei der Selbsttötung untersagt ist, sei kein Hindernis. Die Berufsordnung könne keine Untergesetzgebung sein, die den Zugang zu Grundrechten verwehre. Allerdings ist kein Arzt zur Suizidassistenzverpflichtet.

Zugleich soll über eine Pflichtberatung sicher gestellt werden, dass der Sterbewunsch aus freiem Willen erfolgt. Daher sei der Aufbau eines staatlichen Beratungssystems nötig. Vor der Abgabe eines todbringendes Medikament durch Ärzte soll die Beratung Pflicht sein. Für Sterbehilfe-Aktivitäten dürfe aber nicht geworben und sie auch nicht kommerziell angeboten werden.

In der innerkirchlichen Debatte um die Suizidassistenz wird auf das fünften Gebot »Du sollst nicht töten« Bezug genommen. Deshalb wolle man sich nicht an der organisierten Hilfe zum Suizid beteiligen. Vielmehr müsse es darum gehen, Hilfe beim Sterben anzubieten - und nicht Hilfe zum Sterben. Eine Ausweitung des assistierten Suizids werde daher strikt abgelehnt.

Gewinnorientierte Hilfe bestrafen

Auch die Patientenschützer haben dem Bundestag eine Neuregelung der organisierten Suizidassistenz vorgeschlagen. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, verweist darauf, dass »geschäftsmäßige Hilfe zum Suizid mit der Verfassung vereinbar« ist. Deshalb kann organisierte Unterstützung bei der Selbsttötung nicht grundsätzlich verboten werden.

Der Vorschlag der Patientenschützer bezieht sich auf eine Neuregelung des Paragrafen 217 »Förderung der Selbsttötung« im Strafgesetzbuch. Danach soll die gewerbsmäßige, gewinnorientierte Förderung der Selbsttötung bestraft werden. Denn die Sterbehilfevereine böten keine Garantie dafür, dass die Willens- und damit die Selbstbestimmungsfreiheit immer gewahrt werde. Für profitorientierte Anbieter sieht der Entwurf der Patientenschützer eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor.

Der Sterbewillige, so betonen die Patientenschützer, muss seinen Entschluss nach deutlicher Abwägung des Für und Wider unter Anspannung seiner geistigen Kräfte und in freier Selbstbestimmung gefasst haben. Gleichzeitig hat der Suizidhelfer sicherzustellen, dass von dritter Seite weder Druck noch Einflussnahme ausgeübt wird. Hält sich der Suizidhelfer nicht daran, drohe ihm eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Dem Entwurf der Patientenschützer zufolge sollen Angehörige, die den Suizidhelfer unterstützen, straffrei bleiben.

Ob der Bundestag noch in dieser Wahlperiode per Gesetz konkrete Regeln vorgibt und Ärzten die Suizidassistenz erlaubt, ist offen. Die Verschleppung der Neuregelung in die nächste Wahlperiode wäre jedoch kein gutes Signal für die Betroffenen. Sie fordern ein liberales Sterbehilfegesetz, das klar normiert, wer unter welchen Voraussetzungen Sterbehilfe leisten darf und unter welchen Voraussetzungen Medikamente zum Suizid erhältlich sind. Das ist ein Gebot der Stunde. (Mit Agenturen)

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