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Protestbewegung lässt sich nicht Einschüchtern

Die Demonstranten gegen den Militärputsch finden Inspiration bei anderen Protestbewegungen in Südostasien

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 4 Min.

»Sie haben auf eine junge Frau geschossen! Und sie hatte gar nichts getan. Sie stand nur am Rand!« Thomas berichtet mit hektischer Stimme, als er den vergangenen Tag in seinem Land rekapituliert. »Die Polizei und das Militär hatten erst Wasserkanonen eingesetzt, um die Menschenmengen aufzulösen. Nichts hat sich bewegt. Und dann haben sie geschossen.« Wahrscheinlich, sagt der 23-Jährige, der zur Sicherheit nur seinen englischen Namen nennt, sei die in der Hauptstadt Naypyidaw niedergeschossene Frau das erste Todesopfer der Proteste. Das Video des Schusses verbreitete sich am Dienstag rasend schnell durch die sozialen Medien. Am Mittwoch war weiter unklar, ob die Frau, die in die Notaufnahme gebracht wurde, gestorben ist.

Seit einer guten Woche befindet sich das südostasiatische Land im Ausnahmezustand. In der Nacht auf den 1. Februar putschte das Militär und ließ die im November wiedergewählte Staatsrätin Aung San Suu Kyi und weitere führende Politiker festnehmen. Der unbelegte Vorwurf: Bei der Wahl im November, die die von Aung San Suu Kyi angeführte Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) haushoch gewonnen hatte, habe es sich um Betrug gehandelt. Zunächst soll für ein Jahr der Ausnahmezustand gelten - offiziell, damit die Ordnung wiederhergestellt werde.

Es ist ein Vorgehen, das im 54-Millionenland auf großen Widerwillen stößt. Seit Tagen wird in den größeren Städten protestiert, einem Versammlungsverbot zum Trotz. »Wir alle haben Angst. Aber wir lassen uns von denen trotzdem nicht einschüchtern«, sagt Thomas. »Wir wollen Demokratie.« Am Montag war er in Yangon auf der Straße und protestierte. Am Tag darauf blieb er zu Hause, wo er am Laptop saß und über Twitter und andere Medien Nachrichten verbreitete. »So teilen wir uns auf.« Koordiniert sei das Ganze bis jetzt nicht. Aber viele der Protestler wüssten, was sie zu tun haben: Ihren Unmut äußern, auf jede Weise, die möglich ist.

Erst ein Jahrzehnt hatte die langersehnte Demokratie im Land auf dem Buckel. Durch wiederholte Militärputsche hatten Myanmars Streitkräfte über ein halbes Jahrhundert die Zügel in der Hand, bis 2008 überraschend eine demokratische Verfassung verabschiedet wurde. 2015 übernahm die langjährige Demokratieaktivistin Aung San Suu Kyi das Amt der Staatsrätin und war so De-facto-Regierungschefin. Dabei hatte das Militär auch unter der neuen Verfassung weiterhin große Macht. Im Parlament sind 25 Prozent der Sitze für das Militär reserviert. Dazu kontrolliert es die Ministerien für Verteidigung, Grenzangelegenheiten und Inneres. Somit hörten die Beamten, Polizisten und Soldaten nicht etwa auf Anweisungen der Staatsrätin, sondern ultimativ auf den Obersten Befehlshaber Min Aung Hlaing, der jetzt auch offiziell an der Macht ist.

Wie viele Menschen stehen hinter Min Aung Hlaing? Einige Staatsdiener haben dieser Tage die Arbeit geschwänzt. »Sogar Polizisten haben sich uns schon angeschlossen«, sagt Jack, ein 26-jähriger Demonstrant aus Yangon, der wie Thomas seinen burmesischen Namen nicht nennt, und der zwischen Laptop und Straße abwechselt. Jack sitzt tagelang am Computer und teilt Informationen. »Ich bin jetzt so etwas wie ein Amateurjournalist«, sagt er und lacht. »Die Menschen müssen doch darüber informiert sein, was hier gerade passiert! Im Staatsfernsehen wird behauptet, alles sei friedlich. Hier ist aber nichts mehr friedlich. Es wird geschossen!«

Es ist ein großer Unterschied zu Protesten früherer Jahrzehnte im Land, die zwar politisch ähnlich motiviert waren, aber ohne Internet auskommen mussten. Heute weiß die Bevölkerung über wichtige Ereignisse in Minutenschnelle Bescheid. Damit wiederum haben Demonstranten Myanmars entscheidende Gemeinsamkeiten mit den Demokratiebewegungen anderer Länder aus der Region. Auch in Hongkong, Thailand und den Philippinen sind in den vergangenen Monaten Menschen in großen Zahlen auf die Straßen gegangen, um sich gegen autoritäre Regime und für Freiheitsrechte einzusetzen. Immer wieder sind die Proteste dezentral organisiert, wirken mitunter unorganisiert, profitieren aber von der Vernetztheit ihrer Akteure.

»Mit den Aktivisten aus Hongkong habe ich noch nie etwas direkt zu tun gehabt«, sagt der 18-jährige Leon Win über »Zoom«. »Das gilt für die meisten von uns, glaube ich.« Mit der Bewegung dort, in Thailand und den Philippinen sei man trotzdem verbunden. »Über Twitter und Facebook haben wir uns angesehen, wie die es machen. Deswegen gehen viele von uns möglichst mit Regenschirmen oder Gasmasken auf die Straße, um uns vor Wasserkanonen und Tränengas zu schützen.« Man strecke friedlich drei Finger in die Luft, halte die Köpfe hin. Wenn Militär und Polizei wie an diesen Tagen die Nerven verlieren, kann es böse enden. »Aber«, sagt Leon Win: »Dann wird es der Rest der Welt sehen.«

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