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»I can't breathe«: Historischer Prozess gegen Polizeigewalt beginnt

Im Verfahren gegen Ex-Beamten wegen des Todes eines Afroamerikaners steht die Jury-Auswahl an

  • Lesedauer: 4 Min.

Washington. Die Bilder vom langsamen, qualvollen Tod von George Floyd gingen um die Welt. Rund neun Minuten lang drückte der weiße Polizist Derek Chauvin sein Knie in den Nacken des auf dem Boden liegenden Afroamerikaners. »Ich kann nicht atmen«, klagte Floyd immer wieder - vergebens. Der auf einem Handyvideo festgehaltene Tod des 46-Jährigen sorgte weltweit für Entsetzen und löste beispiellose Anti-Rassismus-Proteste aus. Chauvin wurde zum Sinnbild für Polizeigewalt in den USA. Jetzt beginnt der Prozess gegen den Ex-Polizisten.

In Minneapolis startet am Montag die Auswahl der zwölf Geschworenen. In der Stadt im nördlichen Bundesstaat Minnesota war es am 25. Mai des vergangenen Jahres zum tödlichen Aufeinandertreffen zwischen Floyd und Chauvin gekommen.

Polizisten hatten den Schwarzen festgenommen, weil er mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein Zigaretten gekauft haben soll. Doch der in Handschellen gelegte Familienvater weigerte sich, in ein Polizeiauto zu steigen. Die Beamten fixierten Floyd schließlich auf den Boden - und Chauvin presste ihm sein linkes Knie in den Nacken.

Der 44-Jährige ließ nicht von Floyd ab, obwohl der mehr als 20 Mal klagte, keine Luft mehr zu bekommen, um sein Leben bettelte und nach seiner Mutter rief. Chauvin ließ auch nicht ab, als der Afroamerikaner das Bewusstsein verlor. Acht Minuten und 46 Sekunden dauerte die brutale Episode, erklärten die Ermittler später. Eine Zahl, die ebenso wie Floyds Name und Gesicht zu einem Symbol der Black-Lives-Matter-Bewegung gegen Rassismus und Polizeigewalt wurde, auch wenn es inzwischen widersprüchliche Angaben zur genauen Dauer gibt.

Polizist wird Totschlag vorgeworfen

Chauvin und die drei anderen an der Festnahme beteiligten Polizisten wurden entlassen und angeklagt. Zunächst wird nun Chauvin der Prozess gemacht. Der Hauptanklagepunkt lautet auf »Mord zweiten Grades«. Das entspricht in etwa einem Totschlag in besonders schwerem Fall und kann mit bis zu 40 Jahren Gefängnishaft bestraft werden, auch wenn die Staatsanwalt keine Tötungsabsicht sieht.

Der Ex-Polizist, der sich gegen Kaution auf freiem Fuß befindet, weist die Vorwürfe zurück. Sein Anwalt Eric Nelson hat erklärt, Chauvin habe gemäß seiner Ausbildung gehandelt, um einen widerspenstigen Festgenommenen zu kontrollieren. Er argumentiert, Floyd sei an dem Opioid Fentanyl zu Tode gekommen. Die Gerichtsmedizin hat die Droge in Floyds Blut nachgewiesen, bei der Todesursache aber explizit auf den Druck auf den Nacken des 46-Jährigen verwiesen.

Drei Wochen sind für die Auswahl der Geschworenen veranschlagt - in einem so öffentlichen Fall eine komplizierte Prozedur. Die inhaltlichen Verhandlungen sollen dann am 29. März beginnen und dürften sich bis Ende April ziehen.

Jury entscheidet oft Zugunsten der Polizei

Der für die Staatsanwaltschaft arbeitende Jurist Neal Katyal bezeichnete den Prozess kürzlich als »einen der wichtigsten in der Geschichte unserer Nation«. Denn immer wieder werden die USA von tödlicher Polizeigewalt gegen Afroamerikaner erschüttert. Polizisten werden aber nur sehr selten für ihr Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen.

»Dass ein Polizist wegen missbräuchlicher Gewaltanwendung angeklagt wird, ist in den USA selten, und erst Recht wegen Mordes«, sagt der Polizei-Experte Ashley Heiberger. Noch seltener seien Verurteilungen: Im Zweifelsfall entscheide die Jury eher zugunsten von Polizisten. Für einen Schuldspruch gegen Chauvin ist ein einstimmiges Votum der zwölf Geschworenen nötig.

Die Behörden befürchten Proteste und Ausschreitungen, sollte der Ex-Polizist freigesprochen werden. Für den Prozess gelten deswegen massive Sicherheitsvorkehrungen. Das Gerichtsgebäude wurde mit Zäunen, Betonbarrieren und Stacheldraht abgesichert, 2000 Nationalgardisten wurden mobilisiert.

Neben der juristischen Aufarbeitung von Floyds Tod hat auch die Politik gehandelt: Das Repräsentantenhaus stimmte am Mittwoch für eine umfassende Polizeireform. Benannt ist das Gesetz, das noch vom Senat bestätigt werden muss, nach George Floyd. AFP/nd

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