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Kriminalität wird vorausgesetzt

Lili Kramer vom Bündnis »What-The-Fuck?!« über die Kriminalisierung feministischer Proteste, Repression und eine vorauseilende Exekutive

Das Bündnis »What-The-Fuck?!« betont in seiner Arbeit immer wieder: Feminismus ist kein Verbrechen. Erlebt ihr das dennoch anders?

Auf jeden Fall. Dabei hat die Kriminalisierung von feministischen Protesten mindestens zwei Seiten: die Justiz und eine vorauseilende Exekutive an den Protesttagen selber. Kriminalität von Seiten der Feminist*innen wird oft vorausgesetzt. Dann wird Leuten der Zugang zu Kundgebungsplätzen verwehrt oder Kundgebungen werden vorzeitig beendet. Bei den Protesten gegen den »Marsch für das Leben« 2020 zum Beispiel gab es dezentrale Kundgebungen und eine Rallye, also ein Konzept, das den Infektionsschutz ganz hoch gehängt hat und auch gar nicht auf Konfrontation aus war. Teilweise wurde Leuten, und auch solchen mit Technik und Boxen für die Konzerte, der Zugang verwehrt. Eine ziemliche Schikane.

Lili Kramer

Lili Kramer ist Pressesprecherin des queerfeministischen Bündnisses »What-The-Fuck?!«. Es organisiert seit Jahren Proteste gegen den »Marsch für das Leben« und setzt sich für körperliche und sexuelle Selbstbestimmung ein. Mit Birthe Berghöfer sprach Lili Kramer über die Kriminalisierung feministischer Proteste und Repressionen an Protesttagen.

In dem Jahr davor gab es mehrere angemeldete Kundgebungen, von denen eine vorzeitig beendet wurde, damit der Marsch dort langlaufen konnte. Da wurde das Demonstrationsrecht der Leute vom Marsch für das Leben höher gehängt als das von den Gegenprotesten. Und bei Protesten gegen den Schweigemarsch in Annaberg-Buchholz wurde die Abreise massiv behindert: Menschen mussten durch einen Polizeispalier laufen, um zurück in die Busse zu gelangen, und teilweise ließ man die Hunde in die Kette springen. Es gibt also eine unglaubliche Diskrepanz, wie mit feministischen Protesten umgegangen wird und wie mit den Aktivitäten der selbst ernannten Lebensschützer*innen umgegangen wird.

Dann wurde im vergangenen Jahr auch noch die Liebig 34 in Berlin mit einem Großaufgebot an Polizei geräumt - mitten in der Pandemie. Feministischer Protest und feministische Organisierung scheint also weh zu tun, und es gibt Gegenwehr von staatlicher Seite.

Hat sich solch ein Vorgehen in den vergangenen Jahren verstärkt?

Es hat immer vielfältigen und kreativen feministischen Protest gegeben und auch immer mal wieder Strafbefehle gegen Aktivist*innen. Zahlenmäßig lagen die allerdings im verschwindenden Bereich. Das Ausmaß, wie es aktuell in Berlin zu sehen ist, ist hingegen neu.

Dort stehen queerfeministische Aktivist*innen wegen ihrer Sitzblockade beim Marsch für das Leben 2019 vor Gericht.

In mindestens 116 Verfahren wird den Feminist*innen Nötigung vorgeworfen. Neu ist, dass eine Sitzblockade wie ein Straftatbestand und nicht wie eine Ordnungswidrigkeit behandelt wird. Außerdem laufen die Verfahren konträr zu dem, was mit dem neuen Berliner Versammlungsgesetz eigentlich angestrebt wird: nämlich Sitzblockaden als kreative Form der Meinungsäußerung eines Gegenprotestes anzuerkennen und auf keinen Fall als Straftat zu beurteilen. Das gilt natürlich nicht für die Proteste von 2019, trotzdem fragen wir uns, warum kurz vor Einführung des Gesetzes die bisherigen rechtlichen Möglichkeiten noch mal so viel härter angewandt werden als üblich.

Welche Folgen haben solche Verfahren für die Aktivist*innen und für ihre Anliegen?

Repressionen sollen immer einschüchtern und Kapazitäten binden. In diesem Fall gelingt das aber nicht. Stattdessen gibt es eine unglaublich tolle Organisierung von FLINT-Personen (Frauen, Lesben, inter, nichtbinäre und trans Personen, Anm. d. Red.), viel Unterstützung für die Betroffenen und Spendenaktionen. Das Skandalisieren dieser Verfahren und die Betonung, dass eine Sitzblockade keine Nötigung und Gewalt darstellt, sind entgegen dem, was Repression eigentlich bezwecken soll, gerade tatsächlich bestärkend. Trotzdem: Wir haben auch noch andere Sachen zu tun, als Leute vor Gericht zu unterstützen. Anti-Repressions-Arbeit ist eigentlich nicht unser Themenschwerpunkt, sondern wir möchten uns für reproduktive Rechte einsetzen. Für einen legalen, freien und sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und eine bessere Gesundheitsversorgung für alle Menschen.

Anti-Repressions-Arbeit scheint oft aber Teil feministischer Kämpfe zu sein.

Das muss sie auch. Wenn wir als queerfeministische Bewegung etwas reißen wollen, dann müssen wir jede einzelne Person darin unterstützen, niemand darf alleine auf Gerichtsverfahren oder was auch immer sitzen bleiben.

Spielt denn das konkrete Anliegen eine Rolle, oder wird generell repressiv gegen feministische Kämpfe vorgegangen?

In Deutschland spielt das Protestanliegen durchaus eine Rolle - zumindest ob es linker Protest ist oder nicht. Wir haben ja gesehen, was mit den verschwörungsideologischen Versammlungen passiert ist. Nämlich nicht so viel. Dabei spielt für das staatliche Vorgehen glaube ich auch die öffentliche Wahrnehmung eine Rolle: Viele Menschen haben lange nicht verstanden, warum es nötig ist, gegen den Marsch für das Leben zu protestieren. Auch Leute, die Verständnis für Sitzblockaden gegen einen offensichtlichen Naziaufmarsch gehabt hätten. Weil die sogenannten Lebensschützer*innen als viel harmloser wahrgenommen wurden. Friedliche Leute, die schweigend ihr Kreuz durch die Gegend tragen. Zum Glück ist das durch ganz viel Aufklärungsarbeit nicht mehr so.

Denn der Marsch für das Leben behauptet zwar, Leben und die Familie schützen zu wollen, meint dabei aber nur ganz bestimmte Familien: weiße, heterosexuelle und christliche. Damit bieten diese Leute glasklar Anknüpfungspunkte für die Neue Rechte, immerhin sind Familie und Reproduktion Punkte, über die auch Staatszugehörigkeit verhandelt wird.

Was bei der Kriminalisierung von feministischen Protesten oder zumindest beim Vorgehen der Polizei auch noch eine Rolle spielt, ist die Vorstellung, FLINT-Personen dürften nicht zu laut sein und nicht so viel Raum einnehmen. Etwas, was cis-männlichen Demonstranten hingegen viel mehr zugeschrieben wird. Es gibt viel mehr Empörung, Härte und auch Abscheu von Seiten der Polizei, wenn FLINT-Personen laut protestieren.

Beobachtet ihr eine Kriminalisierung feministischer Kämpfe auch in anderen Ländern?

In Polen war die Polizei bei den ersten Strajk-Kobiet-Protesten zum Recht auf Abtreibung relativ zurückhaltend. Das hat sich teilweise verkehrt. Auch da haben zunehmend mehr Leute Strafverfahren bekommen - allerdings mehr noch wegen queerer Proteste gegen Homo- und Transfeindlichkeit. Da gibt es schon viel Repression - aktuell auch unter dem Deckmantel von Verstößen gegen die Corona-Auflagen.

Gleichzeit nehmen Angriffe durch rechte, nationalkonservative und fundamentalistische Akteur*innen zu.

Auch deswegen sind Angebote, sich gemeinsam zu organisieren und Betroffene nicht allein zu lassen, sehr wichtig. Schon bei der Demo-Mobilisierung sollten Ansprechpartner*innen da sein, damit Menschen direkt wissen, wohin sie sich gegebenenfalls wenden können. Ein öffentlicher Umgang und eine Skandalisierung der Kriminalisierung sind Wege, mit denen wir versuchen, mit Repressionen umzugehen. Aber auch auf der Ebene der Rechtsprechung muss weiter angeprangert werden. Es wird ja nicht nur Protest kriminalisiert, sondern auch manche Lebensentscheidung von FLINT-Personen: zum Beispiel durch die Paragrafen 218 und 219a zu Schwangerschaftsabbrüchen. Unsere Gesetzgebung wurde eigentlich für cis-Männer gemacht. Nicht für uns.

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