Soziale Coronakrise trifft Peru besonders hart

Nach UN-Angaben ist die Zahl der Armen in ganz Lateinamerika im vergangenen Jahr um 22 Millionen gewachsen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein bis zwei Prozentpunkte des Bruttoinlandsprodukts Perus könnte der neuerliche Lockdown kosten, schätzt die Wirtschaftszeitung «Gestión». Über Lima und weitere acht Regionen sind Maßnahmen verhängt worden, um die Corona-Pandemie in den Griff zu kriegen. In dem südamerikanischen Land mit gut 30 Millionen Einwohnern werden täglich rund 6700 neue Infektionsfälle, seit Wochen kaum verändert, registriert, und die Krankenhäuser sind erneut am Limit. «Alle Intensivbetten sind belegt, auch Sauerstoff ist wieder knapp», erklärt Carlos Herz, Entwicklungsexperte aus Lima.

Er hofft, dass Perus Wirtschaft nicht erneut so einbrechen wird wie 2020. Da stürzte die Ökonomie um geschätzt 12 bis 14 Prozent ab. Damit liegt das Land weit über dem lateinamerikanischen Durchschnitt von 7,3 Prozent. Ein Grund dafür war die eingebrochene Nachfrage nach Industriemetallen wie Kupfer, den Hauptexportgütern. «Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit», moniert Herz, der lange internationale Hilfsorganisationen bei Entwicklungsprojekten beraten hat. «Die Regierung hat auch keine Anstalten gemacht, kleine und mittlere Produzenten zu fördern, die Weichen in eine andere Richtung zu stellen.» Die im März und April gelieferten Nahrungsmittelhilfen für besonders bedürftige Familien bestanden aus Nudeln, Dosenthunfisch und Milchpulver, die nur teilweise im Land produziert und industriell verarbeitet würden«, ärgert sich Herz.

Deshalb sind 2020 die Lebensmittelimporte um 30 Prozent gestiegen. Unverantwortlich, denn lokale Produzenten, ob in Lima, Cusco oder Arequipa, hätten durchaus liefern können. »Nur nicht so, wie es der Regierung vorschwebte: fertig verarbeitet, und verpackt. Hier wurde eine Chance vertan lokale Lebensmittelproduzenten zu fördern«, kritisiert Herz. »In Peru funktioniert vieles in sehr konventionellen Bahnen. Die Lobby der großen Unternehmen ist gut vernetzt in den Ministerien, Korruption weit verbreitet«, moniert Herz die Strukturen.

Zur wirtschaftlichen Talfahrt trägt aber auch das Abdrängen vieler Menschen in den informellen Sektor ab. Ihre Zahl stieg in 2020 um mindestens eine weitere Million, als die großen Unternehmen ihre Belegschaften reduzierten. »Etwa 75 Prozent der Beschäftigten in Peru arbeiten ohne formelle Anstellung, sind selbstständig, oft unterbeschäftigt und arm«, so Carlos Monge, Lateinamerika-Koordinator des Natural Resource Governance Institute in Lima. Die Armutsquote sei sehr hoch. Sie geht aber auch in Nachbarländern wie Bolivien oder Ecuador nach oben. Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (Cepal) warnt bereits vor einer verlorenen Dekade für die Region. Rund 22 Millionen Menschen seien allein im vergangenen Jahr in die Armut abgerutscht. Die Zahl der in Armut lebenden Menschen sei auf rund 209 Millionen gestiegen, gut ein Drittel der Gesamtbevölkerung. 12,5 Prozent lebten sogar in extremer Armut, so die UN-Experten. Die Pandemie traf die Region auch besonders hart: Obwohl sie nur 8,4 Prozent der Weltbevölkerung stellt, seien hier 27,8 Prozent der Todesfälle durch Covid-19-Erkrankungen verzeichnet worden.

In Peru leben besonders viele Arme in dem Lima umgebenden Armutsgürtel. Deren Organisationen plädierten Ende Januar bei der Verhängung des erneuten Lockdowns gemeinsam mit den Industrieverbänden dafür, die Wirtschaft nicht komplett herunterzufahren. Tatsächlich ist der ökonomische Sektor diesmal nicht so gravierend getroffen wie im April 2020. »Es wird auf allen Ebenen weiter produziert«, so Monge, der ebenfalls Maßnahmen der Regierung vermisst, um kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. »Da könne die Regierung Zeichen setzen und das hätte angesichts steigender Armutszahlen auch soziale Effekte.« Doch die Hilfsprogramme seien deutlich mickriger ausgefallen als 2020. Das könnte zum Bumerang werden und die Pandemie weiter anheizen.

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