Corona-Regeln sind Landtagssache

Gericht: Niedersachsens Regierung hat Parlament nicht pflichtgemäß informiert - Verfassung verletzt

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Mal eben am Parlament vorbei per Kabinettsorder ein paar Corona-Verordnungen erlassen, die Bürgerinnen und Bürger empfindlich treffen: Das geht nicht. Das hat jetzt der niedersächsische Staatsgerichtshof in Bückeburg bestätigt und damit einer Verfassungsklage der oppositionellen Landtagsfraktionen von Grünen und FDP stattgegeben.

Die Spitzen von Liberalen und Grünen im Parlament von Hannover hatten das selbstherrliche Vorgehen der SPD-CDU-Landesregierung moniert, die im Frühjahr 2020 diverse Regelungen zum Schutz vor Covid-19 anordnete. Der Staatsgerichtshof teilt die Meinung der Klagenden. In ihrem am Dienstagabend verkündeten Urteil stellen die Richter klar, die rot-schwarze Regierung hätte das Parlament über drei Pandemieverordnungen, die im April und Mai unter anderem zur Beschränkung sozialer Kontakte erlassen wurden, »frühzeitig und vollständig« unterrichten müssen. So bestimme es die niedersächsische Landesverfassung.

Spaß und Verantwortung

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Zu solch einer Unterrichtung sei die Regierung verpflichtet, sofern es um Belange von »grundsätzlicher Bedeutung« gehe, heißt es in der Urteilsbegründung. Das treffe bei den Corona-Verordnungen zu, enthalten sie doch Regeln, die weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen haben, erheblich in Grundrechte eingreifen und eventuell Entschädigungsansprüche gegen das Land auslösen könnten. Auch müsse bedacht werden, dass die Bestimmungen in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden und starke Beachtung finden. All das habe die Regierung nicht beachtet. Zwar seien einzelne Ausschüsse des Parlaments über die Verordnungen informiert worden, doch die Unterrichtungspflicht bestehe gegenüber dem Landtag als Ganzes. Dieser hätte gleichzeitig mit der Anhörung der kommunalen Spitzenverbände informiert werden müssen.

Die Entscheidung der Bückeburger Richter müsse für die Landesregierung ein »Weckruf« sein, erklärte FDP-Fraktionschef Stefan Birkner am Mittwoch. Nur wenn Entscheidungen zu Corona-Verordnungen vom Landtag getroffen würden, sei die Akzeptanz für Grundrechtseingriffe sichergestellt.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Helge Limburg, wies nach der Urteilsverkündung darauf hin, damit habe erstmals ein deutsches Verfassungsgericht in der Pandemie klargestellt, dass Regierungen auch in Krisenzeiten nicht am Parlament vorbei handeln können. Der Staatsgerichtshof habe der Regierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) nichts weniger als einen Bruch der Landesverfassung attestiert. Der Regierungschef sei nun aufgefordert, Konsequenzen aus dem Gerichtsentscheid zu ziehen, ergänzte die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Julia Willie Hamburg. Die Pandemie benötige mehr Kooperation und Miteinander bei der Suche nach Lösungen. Es müsse Schluss damit sein, dass die Regierenden »die vielen Verbesserungsvorschläge und kritischen Hinweise der gewählten Abgeordneten überwiegend ignorieren«, fordert die Politikerin.

Schluss mit der Ignoranz gegenüber dem Parlament hatte die Regierung im Frühsommer des vergangenen Jahres gemacht, nachdem die beiden Oppositionsfraktionen vor den Staatsgerichtshof gezogen waren. Seitdem wurde und wird das Parlament vorab über Corona-Verordnungen in Kenntnis gesetzt, und es gibt Sondersitzungen des Landtags zum Thema Schutz vor Corona.

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