Ein Geschichtsbuch der besonderen Art

Die Erinnerungen des Peter Merseburger

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 4 Min.

Was für ein Panorama! Peter Merseburger schreibt seine Lebensgeschichte als die eines politischen Zeitgenossen. Der 1928 im anhaltinischen Zeitz geborene Doyen des deutschen investigativen Journalismus hat mit über 90 Jahren das Schreiben nicht verlernt.

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Peter Merseburger: Aufbruch ins Ungewisse. Erinnerungen eines politischen Zeitgenossen.
DVA, 464 S., geb., 28 €. •

Gespannt folgte dereinst das Fernsehpublikum seinen legendären »Panorama«-Sendungen im NDR, seinen Reportagen aus Washington, den nicht einfach zu recherchierenden Berichten aus dem ARD-Studio in Berlin (Ost) oder danach seinen Korrespondentenberichten aus London. Ebenso spannend lesen sich seine jetzt unter dem Titel »Aufbruch ins Ungewisse« erschienenen Erinnerungen, die vom Flakhelfer in den letzten Kriegsjahren bis in seinen Berliner Ruhestand führen. Es entsteht dabei ein authentisches Panorama der deutschen wie der internationalen Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten und etwas darüber hinaus.

Die erste Zeit nach dem Krieg, zunächst noch in der damaligen sowjetischen Besatzungszone, bald nach Übersiedlung zum Studium in Marburg, ruft den schweren Anfang nach 1945 noch einmal eindringlich auf. Zielstrebig verfolgte der junge Merseburger seinen Weg in seinen Traumberuf, den Journalismus. Da hatte er schon die Währungsreform und die Berliner Blockade erlebt und - in US-amerikanischen Diensten - erste Erfahrungen mit fälschlich entlasteten Nazis gemacht. Es ging damals um die Westorientierung nach Adenauers Vorstellungen oder die gesamtdeutsch-patriotischen Vorstellungen eines Kurt Schumacher, um eine Wiederbewaffnung in der jungen Bundesrepublik und auch um den 17. Juni 1953 in der DDR.

Erste Sporen verdiente sich Merseburger bei einer Hannoverschen Regionalzeitung, von der er zum »Spiegel« wechselte. Der rechtswidrige, von Franz Josef Strauß veranlasste Übergriff auf das Magazin erfolgte, als er auf Kuba unterwegs war. Das alles liest sich direkter, oft auch kritischer als in den Wälzern von Historikern, die in den Quellen suchen müssen, was Merseburgers journalistischen Alltag ausmachte. Seine demokratische Grundhaltung, seine gut begründete Parteinahme, sein hohes journalistisches Ethos setzten seinerzeit Maßstäbe und lesen sich heute ohne jede Selbstbeweihräucherung sympathisch.

Dann ging er zum Fernsehen, zum NDR, leitete und moderierte das politische Magazin »Panorama«, die investigative Fernsehsendung, von 1968 bis 1975. Wer den Finger auf die meist politischen Wunden legt, hat es nicht leicht. Die leider politisch besetzten Aufsichtsgremien machten es Merseburger oft schwer. Genüsslich schildert er in seinen Erinnerungen einen Fall echter politischer Zensur, als die ARD-Intendanten mehrheitlich einen »Panorama«-Beitrag von Alice Schwarzer kippten, in dem eine (damals noch verbotene) Abtreibung gezeigt wurde. Das Sendeverbot führte zu einer monatelangen Diskussion in der Öffentlichkeit und hatte wohl eine größere Wirkung, als sie der nicht gesendete Beitrag gehabt hätte. »Panorama« unter Merseburger entwickelte sich nach 1968 zu einem wichtigen Medium, das den gesellschaftlichen Aufbruch begleitete, immer argwöhnisch beobachtet und bedroht von restaurativen Kräften.

Der politische Zeitgenosse erinnert an die Zeiten der ersten Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger mit Willy Brandt als Vizekanzler und Außenminister, er begleitet die Entstehung und Realisierung der neuen Ostpolitik in der sozial-liberalen Koalition. Er lässt den Sturz von Brandt und die Fortsetzung dieser Koalition unter Helmut Schmidt noch einmal sehr lebendig werden. Nachrüstung und Friedensbewegung standen sich im nächsten Kalten Krieg im Innern, die raketenstarrenden Großmächte USA und UdSSR im Weltmaßstab gegenüber. Merseburger hat darüber berichtet, bald nicht mehr für »Panorama«, sondern aus Washington. Dort genoss er die seinerzeit sehr liberalen Arbeitsbedingungen für Journalisten, hatte es aber mit dem glücklosen Präsidenten Jimmy Carter zu tun, einem »unfähigen Provinzpolitiker«, wie Helmut Schmidt urteilte.

Aus Washington ging es ins ARD-Studio nach Ost-Berlin. Dass Merseburger die DDR und seine dortigen beschränkten Arbeitsbedingungen nicht schätzte und auch rückblickend nicht verklärt, hinderte ihn nicht, auch positiv aus der DDR zu berichten.

Das fiel ihm nicht leichter, als er fünf Jahre später nach London wechselte und es mit Margaret Thatcher zu tun bekam und mit deren Versuchen, die Vereinigung der beiden deutschen Staaten zu verhindern. Eines der wenigen, zumeist persönlichen Fotos im Buch, zeigt ihn vor dem Buckingham-Palast. Er hatte sich einen Wehrmachts-Stahlhelm aufgesetzt, um die »Eiserne Lady« ironisch in ihrer Aversion gegen alles Deutsche zu karikieren. Gewiss, eine Provokation, die manche schamlos nannten. Doch: Gerade sein Sinn für Humor im Interesse der Wahrheit machte Peter Merseburger zu einem der großen Journalisten der (alten) Bundesrepublik.

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