Besessen von einer Furcht

Maja Hagerman klärt über die Abwege des schwedischen Rassenforschers Herman Lundborg auf

  • Eckart Roloff
  • Lesedauer: 4 Min.

Es liest sich vernünftig. Und so zeitgemäß: »Hygiene ist das Modewort. Es geht um Mundhygiene, um persönliche Hygiene, Hygiene im Haushalt oder um soziale Hygiene. (…) In der gesamten Gesellschaft sind großangelegte Aufklärungs- und Reinigungsarbeiten im Gange. (…) Die Ärzte sind die treibende Kraft.« Dem aber folgt: »Die Reinheitslehre kann sich auf alles beziehen.« Gemeint sind die Gemeinde, die Nation und sogar die Erbanlagen. Dies zielt auf das, was der Mediziner Francis Galton um 1890 in Großbritannien entwickelte: auf eine Wissenschaft mit Namen wie Eugenik und Erbhygiene. 1895 verwandelt der deutsche Arzt Alfred Ploetz das in den Begriff »Rassenhygiene«.

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Lothar Steinbach: Wissen und Gewissen. Anmerkungen eines Maja Hagerman: Herman Lundborg. Rätsel eines Rassenbiologen.
A. d. Schwed. v. Krister Hanne. Berliner Wissenschafts- Verlag, 480 S., br., 43 €. •

Damit sind wir bei einem ganz anderen und sehr ernsten Thema. Ploetz hat in den USA gearbeitet und dort die Ergebnisse der Rassenpolitik gesehen, mit »strengen Eheverboten zwischen Weißen und Andersfarbigen mit Strafen bis zu zehn Jahren Haft«. 1905 zählt er zu den Mitgründern der deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene.

An diese Anfänge erinnert Maja Hagerman in einem Buch, das jedoch einen anderen Mediziner in den Blick nimmt: den Schweden Herman Lundborg (1868-1943). Von ihm und seinem Land ist heute aus deutscher Sicht nur selten die Rede, wenn es um rassistisches Denken und Forschen geht. Doch neben Galton und Houston Chamberlain waren es auch Schweden, die dafür den Weg bereiteten. So kam es, dass Lundborg, zunächst als Psychiater tätig, ein gut aussehender, seriös wirkender Mann, bereits von 1922 an das weltweit erste staatliche rassenbiologische Institut in Uppsala leitete, bis zum Ruhestand 1935. Seine Studien fanden auch in Deutschland Anerkennung, zumal er mehrere Jahre vor allem in München gearbeitet und auf Deutsch publiziert hatte (und das weiter tun sollte).

1911 trat er bei der 1. Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden auf, dort, wo ein Jahr später das schon lange vorbereitete Hygiene-Museum eröffnet wird. Das besteht dort noch immer, mit großen Flächen und respektiertem Angebot, doch meist weit weg vom Thema Hygiene. Von 1927 an sollte sich in Berlin auch das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie mit Rassenforschung und Erblehren befassen. Die NS-Machthaber griffen das für ihre Gesetze gern auf.

Was seinerzeit dazu vorgetragen und ausgestellt wurde, fesselt Lundborg. Zunächst fasziniert ihn ein marginal wirkender Stoff: Wie ist das mit den im äußersten Norden Schwedens und anderswo lebenden Lappen, heute korrekterweise Samen (Sámi) genannt? Oft sah man das indigene Volk als minderwertig an. Mediziner erfassten Körperbau und -größe, die Haare, die Augen, das Nasenprofil; Pathologen untersuchten deren Gehirne. Das gehört zum Beginn der Rassenforschung, da Lundborg aus dem Vermischen der Sámi mit den Finnen eine schwere Bedrohung der Schweden ableitete. Von dieser Furcht ist er besessen.

1931 wird er zur »Kreuzung« verschiedener Rassen feststellen: »Nicht selten fallen viele dieser Menschen mit ihren meistens bizarren Charakteren Ausschweifungen und dem Verbrechen anheim.« Wertvoll ist nur das rein Nordische, das Arische, die Herrenrasse. Lundborg wird rasch zu einem Gefolgsmann der NSDAP. Ihm scheint es zweckmäßig, »dass die Juden aus dem europäischen Gesellschaftskörper völlig ausgesondert werden«.

Der Buchtitel spricht vom »Rätsel« Lundborg. Damit ist auch dies schier Unglaubliche gemeint: Der (verheiratete) Mann, der die Vermischung mit Sámi als große Gefahr bewertet, zeugt mit einer ihrer Frauen ein Kind, den Sohn Allan Sune. Und natürlich soll alles geheim bleiben.

Solch ein Gegenstand mit seiner Fülle an Verästelungen und Folgen kann Probleme machen, doch die Autorin - seit 2012 Ehrendoktorin der Universität Uppsala - erleichtert die Lektüre durch ihren oft erzählerischen Ton, der gern auch die Ich-Form nutzt. Sehr beachtlich sind ihre vielen Reisen und immensen Archivarbeiten. Erstaunlich, dass dies die erste und mit Preisen belohnte Biografie zu Lundborg ist - und dass fünf Jahre bis zur Übersetzung ins Deutsche (geleistet durch Krister Hanne) vergehen mussten.

Hagermans beachtliches Werk umfasst auch zahlreiche Aufnahmen und grafische Darstellungen sowie ein reichhaltiges Quellen- und Literaturverzeichnis von 18 Seiten, zwei Register und ein Nachwort. Darin legt der Berliner Historiker Uwe Puschner die vielfältigen Verflechtungen zu Lundborgs Leben und Forschen in Deutschland frei. Ein sehr fundiertes und aufklärendes, ein wichtiges Buch, da rassistisches Denken in Schweden wie Deutschland stark zugenommen hat.

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