Der Golfstrom schwächelt

Noch nie in über 1000 Jahren war das Strömungssystem, das vom tropischen Atlantik bis zum Polarmeer reicht, so schwach wie derzeit.

  • Elke Bunge
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn man in Norwegen noch in Gegenden Erdbeeren im Freiland anbauen kann, die in Kanada eher für ihr subarktisches Klima bekannt sind, dann liegt der Grund dafür im Ozean vor Norwegens Küste: die Atlantische Umwälzströmung (Amoc - Atlantic Meridional Overturning Circulation), auch als Golfstromsystem bekannt. Es handelt sich dabei um ein riesiges Strömungssystem, das den gesamten Atlantischen Ozeans durchzieht. In Bewegung gehalten wird es, weil wärmeres Oberflächenwasser aus dem tropischen Atlantik nordwärts strömt, in der Arktis abkühlt und als Tiefenstrom zurück in den Süden befördert wird. Bislang konnte eine Strömungsgeschwindigkeit von etwa 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde festgestellt werden. Das ist das Hundertfache dessen, was der gewaltige Amazonas in seinem Mündungsgebiet im brasilianischen Bundesstaat Amapá in den Atlantik trägt. Zudem transportiert der Golfstrom gigantische Wärmemengen.

Doch in den vergangenen Jahrzehnten, so bestätigt eine aktuelle Studie, hat sich die Strömungsgeschwindigkeit des Golfstromes deutlich verlangsamt. Diese Entwicklung könnte deutliche Folgen für Klima und Wetter sowohl in Nordamerika als auch in Europa zeitigen. Für die im Fachjournal »Nature Geoscience« veröffentlichte Studie hat ein internationales Wissenschaftlerteam unter Federführung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) eine Vielzahl von Daten über die Entwicklung der Strömung in den vergangenen 1600 Jahren ausgewertet.

Bereits in früheren Arbeiten - so im Jahre 2015 - vertraten PIK-Forscher um Stefan Rahmstorf die These, dass die Klimaerwärmung die Fließgeschwindigkeit des Golfstromsystems verringern könnte. Mit der Erwärmung des arktischen Gebiets ging ein Abschmelzen des Seeeises und der Gletscher Grönlands einher. Als Folge davon fließt reichlich Süßwasser ins Meer. Das auf diese Weise verdünnte Salzwasser hat eine geringere Dichte und sinkt daher langsamer in die Tiefe als zuvor. Der Tiefenstrom, der das kalte Wasser südwärts transportiert, verlangsamt sich infolgedessen. Entsprechend wird auch weniger warmes Oberflächenwasser in den Norden gezogen. Die Wissenschaftler des PIK stützten ihre These seinerzeit auf die Auswertung sogenannter Proxydaten. Das sind indirekte Klimaanzeiger wie Baumringe oder Eisbohrkerne.

»Wir haben in der früheren Studie einen Satz Proxydaten - eine Reihe von Sedimentbohrkernen - ausgewertet und geschlussfolgert, dass sich die Fließgeschwindigkeit des Golfstroms verringert haben muss. Dies bestätigten auch Vergleiche mit den Temperaturmessungen und einem kontinuierlichen Monitoring, wie sie von dem britisch-amerikanischem Forschungsprojekt Rapid seit 2004 durchgeführt werden«, erklärt Rahmstorf.

Wurde die These, dass sich die Fließgeschwindigkeit des Golfstromes drastisch verringert in der Wissenschaftswelt vor fünf Jahren noch kontrovers diskutiert, so liefert die aktuelle Studie deutliche Belege. Die Forscher um Rahmstorf - zu ihnen gehören Geologen, Geografen und Mathematiker von der Universität von London und der National University of Ireland - haben elf weitere Proxydatensätze ausgewertet, die die früheren Annahmen bestätigen. Ein weiterer wichtiger Hinweis auf die Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit des Golfstroms ist eine in den letzten Jahrzehnten entstandene »Kälteblase« im nördlichen Atlantik.

»Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestellt, dass sie ein konsistentes Bild der Amoc-Entwicklung über die letzten 1600 Jahre liefern«, so Rahmstorf, »Die Studienergebnisse legen nahe, dass die Amoc-Strömung bis zum späten 19. Jahrhundert relativ stabil war. Mit dem Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströmung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zweiter, noch drastischerer Rückgang folgte.«

Zu ähnlichen Schlussfolgerungen war 2018 bereits ein Forschungsteam um den britischen Paläozeanografen David Thornally, Mitautor der aktuellen Studie, gekommen. Sein Team hatte Proxydaten von Kalkschalen und Meerestieren aus 50 bis 200 Metern Wassertiefe sowie Sedimentbohrkerne aus 1700 bis 2000 Metern Tiefe aus Gebieten untersucht, wo das kalte Wasser im Tiefenstrom zurückfließt. Die Forscher stellten damals fest, dass die Körnung der Bohrkerne immer feiner wurde, was auf einen Rückgang der Fließgeschwindigkeit schließen ließ.

Das warme Wasser des Golfstroms hat Europa sein mildes Klima gebracht. Bei einer Verlangsamung der Strömung - oder gar ihrem Erliegen - könnte eine deutliche Abkühlung stattfinden. In der Folge könnten zum Beispiel die Elbmündung und auch die Nordsee monatelang vereist sein - ein Phänomen, wie es in der kanadischen Hudsonbay beobachtet wird, die auf dem gleichen Breitengrad liegt. Zudem könnte es in Europa häufiger zu extremen Wetterereignissen kommen, etwa weil Winterstürme über dem Atlantik stärker werden oder andere Wege nehmen.

Rahmstorf und Kollegen befürchten eine Störung des gesamten nordatlantischen Ökosystems. »Dies könnte deutliche Rückwirkung zum Beispiel auf die Fischerei und damit auf die Lebensgrundlage vieler Menschen an den Küsten haben«, so der Forschungsleiter.

Derzeit ist es noch so, dass aufgrund der Erdrotation das von Süd nach Nord fließende Oberflächenwasser nach rechts abgedrängt wird. Bei einer Verlangsamung des Golfstroms könnte es auch zum Ansteigen des Meeresspiegels an der US-Ostküste kommen, Städte wie New York oder Boston wären davon betroffen.

»Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreiben, wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen - um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen«, folgert Rahmstorf. »Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird. «

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