Italien zieht wieder die Notbremse

Resignation, Wut bis zu Verzweiflung in der Bevölkerung über neuen Lockdown

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Covid-Pandemie hat ganz Italien wieder fest im Griff. Die Zahl der Infektionen zuletzt wieder stark an. Am Samstag wurden 26 000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden sowie 317 Todesfälle registriert.

Die 25 Regionen des Landes sind alle mittelschwer oder schwer betroffen - mit einer einzigen Ausnahme: Die Insel Sardinien hat kaum neue Fälle und darf deshalb mehr oder weniger so weiterleben wie vor Corona. In den anderen Landesteilen herrschen strenge Regeln. Besuche von oder bei Freunden und Verwandten sind verboten; die Geschäfte sind zu (mit Ausnahme essenzieller Bereiche wie Lebensmittel und Apotheken); die Schulen und Kindergärten sind geschlossen und funktionieren höchstens per Fernunterricht; man darf keinen Sport treiben, keine Spaziergänge machen und eigentlich überhaupt nicht aus dem Haus, außer man geht sich etwas zu Essen kaufen, aber auch das darf nur ein einziges Familienmitglied auf dem Mal; und ab 22 Uhr abends gilt eine allgemeine Ausgangssperre. Es ist also alles genauso wie vor einem Jahr, als die »erste Welle« in Europa erst Italien erfasste und das Land bis Mitte Mai in den strikten Lockdown zwang.

Das letzte Wochenende »in Freiheit« erschien fast überall im Land wie eine Art Delirium.Von Mailand bis Neapel drängten sich die Menschen in den Einkaufsstraßen und vor den Schaufenstern, feierten Partys in den Parks oder am Meer, tanzten (meist ohne Maske) auf den Plätzen und standen ohne jeglichen Sicherheitsabstand vor den berühmtesten Sehenswürdigkeiten, was zum Beispiel dazu führte, dass der Platz vor dem berühmten Trevi-Brunnen in Rom geräumt wurde. Restaurants und Bars, die bis Sonntag wenigstens mittags geöffnet waren, waren brechend voll - fast so, als würde das Virus sich darum kümmern, was gerade erlaubt ist und was nicht. Man tut, was (noch) erlaubt ist - und nicht das, was vernünftig erscheint.

Die Reaktionen der Italiener auf die neuen Schließungen reichen von Resignation über Wut bis zu Verzweiflung. All denjenigen, die im Bereich der Gastronomie arbeiten, steht das Wasser jetzt endgültig bis zum Hals. Kaum jemand glaubt, dass man einen weiteren totalen Lockdown überleben kann und auch der Einzelhandel sieht nur noch schwarz. Branchenverbände rechnen damit, dass in den nächsten Wochen gut ein Drittel der betroffenen Betriebe schließen wird - von der Tourismusbranche ganz zu schweigen. Zwar hat die Regierung auch diesmal finanzielle Hilfen versprochen - aber niemand weiß, wann und ob sie überhaupt eintreffen werden und ob sie auch wirklich die Menschen erreichen, die sie am nötigsten brauchen. Vor allen Hilfsorganisationen, die sich um die Ärmsten kümmern, werden die Schlangen von Tag zu Tag länger und neben den Obdachlosen stehen heute auch Familienmütter und -väter, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Kinder und sich selbst ernähren sollen. Die absolute Armut, wie sie in den Statistiken genannt wird, hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt!

Aber auch für Menschen, die nicht ums nackte Überleben kämpfen müssen, ist die Lage immer unerträglicher. Das betrifft in erster Linie Frauen und Jugendliche. In den vergangenen Monaten häufen sich Essstörungen, Selbstverstümmelungen und Depressionen und in den Familien nimmt die Gewalt zu. Das soziale Klima ist aggressiver geworden und daran ändern auch die tagtäglichen Appelle der politisch Verantwortlichen und der Kirchen nichts. Durchhalteparolen wie die des Gesundheitsministers Roberto Speranza, der sagt, dass man jetzt noch eine letzte Durststrecke überwinden muss, stoßen auf unfruchtbaren Boden. Und auch mit der Impfkampagne geht es nicht so voran, wie man es sich vorgestellt hatte - egal ob wegen der schlechten Organisation oder einfach, weil der unverzichtbare Grundstoff, das Serum fehlt. Dazu kommt, dass vor allem in Netz vollkommen unkontrollierte Informationen zirkulieren, die die Gefährlichkeit dieses oder jenes Impfstoffs betreffen, so dass auch Menschen, die mit vermeintlichen Verschwörungstheorien nichts am Hut haben, sich plötzlich nicht impfen lassen wollen. Und kaum jemand glaubt, dass »nach Ostern« alles wieder gut sein wird.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal