- Sport
- Olympischer Fackellauf
Zweiter Anlauf zu den Sommerspielen
Der erste Versuch war ein Desaster. Jetzt führt der Olympische Fackellauf durch Japan - begleitet von Skepsis
Um 9:40 Uhr am Donnerstagmorgen war es so weit. Die Fußballerinnen des japanischen Nationalteams joggen von den Katakomben des Leistungszentrums in Fukushima auf einen Trainingsplatz - im weiß-roten Dress, den Farben der japanischen Nationalfahne. Sie treiben keinen Ball vor sich her, sondern eine brennende Fackel. »Es ist ein kompliziertes Gefühl der Dankbarkeit«, beschreiben die Spielerinnen, die 2011 in Deutschland den Weltmeistertitel gewannen, ihre Emotionen an diesem Tag. Wie damals sind sie auch heute die Ersten, diesmal am Olympischen Feuer.
Mit dem Einsatz der Weltmeisterinnen von vor zehn Jahren begann am Donnerstag der Fackellauf - mit dem Start im vor zehn Jahren durch das Atomunglück teilweise zerstörten Fukushima. Über die nächsten 121 Tage soll das Feuer durch jede der 47 Präfekturen des Landes führen: Anfang Mai erreicht die Fackel die subtropische Inselgruppe Okinawa im Süden des Landes, Mitte Juni dann die in Nachbarschaft von Russland gelegene Nordinsel Hokkaido. Am Abend des 23. Juli soll sie in Tokios Olympiastadion getragen werden, wo mit ihr dann das Feuer entzündet werden soll - die Spiele wären damit eröffnet.
Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, in vielerlei Hinsicht. Denn wie feierlich dieser Fackellauf wirklich werden kann, ist höchst ungewiss. Der Start dieses olympischen Aufwärmevents, der eigentlich auch den vermeintlichen Wiederaufbau in Fukushima zur Schau stellen soll, muss komplett ohne Zuschauer ablaufen. Alles andere wäre in der Pandemie zu gefährlich, erklärten die Veranstalter. Auch andere Dinge, die geplant waren, fallen aus. Am vergangenen Wochenende beschlossen die Organisatoren, dass für die Sommerspiele keine Zuschauer aus dem Ausland zugelassen werden. So wird wohl auch nichts aus der Idee, die bisher eher verschlossene japanische Gesellschaft für die Vielfalt der Welt interessieren zu wollen. Begründet wird dies mit der Infektionsgefahr, die durch einen regen internationalen Austausch wittern würde. Von einer Impfpflicht für alle anderen Ticketinhaber ist noch keine Rede.
Bezogen auf den Fackellauf sieht es jetzt immerhin so aus, als hätte man aus dem vergangenen Jahr gelernt. Als am 22. März 2020 die olympische Fackel in Japan einflog und kurz darauf der Lauf mit dem Feuer beginnen sollte, traute die Welt ihren Augen nicht. Obwohl Japan als eines der ersten Länder vom Coronavirus betroffen war, eilten rund 50 000 Menschen in die nördlich gelegene Stadt Sendai, um dort das Spektakel zu betrachten. Auch das weltweite Entsetzen hierüber dürfte dazu beigetragen haben, dass zwei Tage später die Spiele um ein Jahr verschoben wurden.
Nun also der zweite Anlauf. Ausfallen darf der Fackellauf nämlich auf keinen Fall, das haben die Veranstalter mehrmals betont. Stellenweise wirken die Versuche, Feierlichkeit mit Sicherheit zu harmonisieren, etwas verzweifelt. So haben die Organisatoren schon darüber nachgedacht, an besonders stark bevölkerten Orten eher unbeliebte Fackelträger laufen zu lassen - damit nicht ganz so viele Schaulustige kommen. Und wo sich doch Menschenmengen bilden, sollen Ordner - quasi wie bei einer nicht genehmigten Demonstration - die Leute wieder auseinandertreiben.
Das große Aufgebot an Fackelträgern ist in der Mehrzahl aber prominent besetzt. Einerseits wurden verdiente Olympioniken eingeladen, die in der Vergangenheit Medaillen für Japan gewonnen haben. Dazu gehören Shinji Morisue, Olympiasieger im Turnen 1984 in Los Angeles, Eiskunstläufer Daisuke Takahashi, der in Vancouver 2010 Bronze gewann, Marathonläufer Yuko Arimori, mit Silber 1992 und Bronze 1996 gleich doppelt dekoriert, oder die Olympiasiegerin von 1992 im Schwimmen, Kyoko Iwasaki. Andererseits aber wird auch Kane Tanaka, die mit 118 Jahren älteste Person der Welt, die Fackel einige Meter im Rollstuhl voranbringen.
Die Regeln für das von großen Teilen der Bevölkerung bisher skeptisch beäugte Ereignis sind nicht nur für die Zuschauer streng. Alle Fackelträger sollen sich zwei Wochen vor ihrem Einsatz isolieren und am Tag vor Ort auch unter freiem Himmel eine Maske tragen - abzunehmen nur für die paar Meter des Ruhmes, wenn sie die brennende Fackel in den Händen halten. Und für das Foto im Moment der Übergabe gibt es auch klare Vorstellungen. Die Pose ist vorgeschrieben: Die Organisatoren wünschen sich einen kontaktlosen »Fackelkuss«, bei dem sich nur zwei Fackeln berühren und das Feuer dadurch weitergereicht wird.
Viele lehnen dieses olympische Schauspiel ab. Der Gouverneur der westlich gelegenen Präfektur Shimane forderte Mitte Februar, dass der Fackellauf komplett abgesagt werden solle. Schließlich stiegen auch in Japan weiterhin die Infektionszahlen, selbst wenn der Ausnahmezustand vorerst wieder zurückgenommen werde. Nach vielen Diskussionen will die Präfektur nun Mitte April final entscheiden, ob die Fackelträger kommen sollen. Manche haben bereits verkündet, dass sie nicht mehr wollen. Mehrere Schauspieler und andere Prominente gaben für ihre Absage als Fackelträger offiziell Terminprobleme an. Andere weniger bekannte Auserwählte begründeten ihren Rückzug mit den jüngsten Sexismusskandalen im Organisationskomitee. Gute Stimmung geht anders.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!