• Berlin
  • Corona und Angela Merkel

Rot-rot-grüner Kurs wird harsch kritisiert

Bundeskanzlerin und Wirtschaft lehnen Berliner Sonderweg mit Test- und Homeoffice-Pflicht ab

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bundeskanzlerin gibt den Ton vor. »Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob Testen und Bummeln, wie es in Berlin heißt, die richtige Antwort auf das ist, was sich derzeit abspielt«, erklärte Angela Merkel (CDU) in der ARD-Talkshow von Anne Will am Sonntag. Gemeint waren die erst am Tag zuvor verabredeten neuen Maßnahmen des Senats, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Doch obwohl die Inzidenzzahlen in der Hauptstadt seit Tagen über der Marke von 100 liegen, hatte das Mitte-links-Bündnis darauf verzichtet, die zuvor zwischen Bund und Ländern für diesen Fall verabredete »Notbremse« zu ziehen – zu dieser würde unter anderem auch die Verhängung von Ausgangssperren zählen. Zuletzt lagen die Inzidenzwerte laut Lagebericht des Senats am Sonntag bei 143,4.

Stattdessen nahm Berlin verstärkt die Unternehmen in die Pflicht. So gilt ab diesen Mittwoch, dass Unternehmen verpflichtet sind, einen Teil der Belegschaft in den Großraumbüros ins Homeoffice zu schicken, um Ansteckungen mit dem Coronavirus auf der Arbeit zu vermeiden. Die Hälfte der Büros soll leer bleiben – sogenannte Wechselschichten sollen eingeführt werden.

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Außerdem werden die vorsichtigen Lockerungen im Handel und der Kultur durch verschärfte Regeln für Tests ergänzt. Überdies gilt in allen Innenräumen und auch im Öffentlichen Personennahverkehr die Vorgabe, eine FFP2-Schutzmaske zu tragen. Für Besuche im Friseur- oder Kosmetiksalon sowie in Museen und Galerien ist ein negatives Testergebnis dann obligatorisch. Von der Testpflicht ausgenommen bleiben dagegen Supermärkte, Apotheken oder Drogerien, die auch im Lockdown offen waren.

Harsch kritisiert werden die Senatsmaßnahmen unterdessen von Unternehmern. Neben der IHK kritisierte unter anderem die Vereinigung der Unternehmensverbände in Berlin und Brandenburg, dass die Beschlüsse wirkten wie ein Misstrauensvotum der Politik gegenüber der Wirtschaft. Die Unternehmen müssten nach dem Willen des Senats jede Woche mehr als zwei Millionen Tests anbieten.

Diese Menge werde auf absehbare Zeit kaum verfügbar sein. Sogar der Bundesverband der Deutschen Industrie äußerte sich zu den Beschlüssen des Senats und des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD). Dass über Nacht pauschale Vorgaben gemacht würden, obwohl es eine Vereinbarung zwischen Bundesregierung, Ministerpräsidenten und den Spitzenverbänden der Industrie gibt, finde er irritierend, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm dem »Tagesspiegel«. Feste Quoten seien realitätsfern.

Dass es massive Kritik geben dürfte, wird den Verantwortlichen in der Mitte-links-Koalition am vergangenen Samstag bei der Entscheidung zu den Beschlüssen klar gewesen sein. Doch für nächtliche Ausgangssperren gibt es keine Mehrheit, sie werden von Grünen und Linken in der Koalition nicht mitgetragen. In Bayern beispielsweise, wo es in einigen Landkreisen solche Grundrechtseinschränkungen gibt, zeigen sie auch wenig Effekt. Außerdem fragt man sich in der rot-rot-grünen Koalition, wie so etwas wie Passierscheine durchgesetzt werden sollen, in einer Metropole, in der nachts Zehntausende einer Arbeit nachgehen?

Aber es gibt auch koalitionsintern den Ruf nach Verschärfungen: »Die möglichen Schritte liegen auf dem Tisch: Die erneute Schließung einzelner Bereiche im Geschäftsleben, schärfere Kontaktbeschränkungen und die Möglichkeit einer Verlängerung der Schulferien«, erklärte die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, auf Twitter.
Die Sitzung des Senats an diesem Dienstag verspricht kontrovers zu werden.

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