Mit Heino auf Schatzsuche im Juister Wattenmeer
Seit 57 Jahren versuchen die Behrings, Urlauber, Insulaner und Politiker für den Naturschutz zu sensibilisieren
Den Sechstklässlern aus Oldenburg, die während ihrer Klassenfahrt auf die Nordseeinsel Juist mit Heino Behring eine Wattwanderung machen, bleibt der Mund vor Staunen offen stehen. »Mit Zauberei hat das nichts zu tun«, erklärt der Wattexperte. »Die Muschel reagiert auf Schallwellen, und wenn man mit der Stimme nah genug an ihre "Ohren" kommt, zieht sie sich in ihr Haus zurück.« Das aber sei nicht das Besondere an den Tieren, sondern die Tatsache, dass sie das Wasser filtern und so für die Sauberkeit des Meeres sorgen. Muscheln seien gewissermaßen die Niere des Wattenmeers, ohne sie müsste es sterben, so Heino. Wozu die kleinen Muscheln in der Lage sind, will er dann auch mit einem Versuch beweisen. Zwei Gläser füllt der 59-Jährige mit trübem Meerwasser, in eines kommt zusätzlich eine Hand voll Herzmuscheln. »Auf dem Rückweg zeig ich euch was«, sagt Heino und zieht mit den Kindern weiter hinein ins Watt. Es gibt noch so viel zu entdecken und zu erkunden.
Beißende Muschel
Beispielsweise, warum überall kleine Wurmhäufchen aus Sand herumliegen. »Das ist das, was der Sandpierwurm hinten rauslässt.« Um ein vielstimmiges »Iiiieh« zu verhindern, schiebt er schnell noch hinterher: »Sauberster Sand«. Und erklärt, dass der Wurm, der 30 Zentimeter tief im Boden wohnt, Sand frisst, die organischen Stoffe, die ihn verschmutzen, herausfiltert, und den Rest, nämlich den gereinigten Sand, an der Oberfläche ausscheidet. Wenn er sich wieder zurückzieht, entsteht eine Röhre, so wird der Boden durchlüftet, was wichtig für die Sauerstoffversorgung des Watts ist. Der Sandpierwurm sei praktisch die Lunge vom Watt. 35 der Tiere leben auf einem Quadratmeter, jeden Tagen produzieren sie zwei Einer sauberen Sand, erzählt Heino den staunenden Kindern.
Doch das Bisherige war alles noch gar nichts zu dem, was sie dann gleich zu sehen bekommen. Vorsichtig gräbt der Wattexperte mit den Händen ein Loch, rund 40 Zentimeter tief. Dort unten lebt die Sandklaffmuschel. Woher er weiß, wo genau er zu buddeln hat, bleibt sein Geheimnis. Vorsichtig zieht er eine Sandklaffmuschel aus dem Loch, ein merkwürdig anzusehendes Wesen mit einer Art Rüssel. »Das ist ihr Saugfilter«, sagt Heino und zeigt auch gleich, wie er funktioniert. Wenn man ihn berührt, spritzt sie daraus wie aus einer Wasserpistole und zieht ihn ein. Die Kinder kreischen vor Vergnügen. Zum Glück muss man das Watt sehr genau kennen, um zu sehen, wo sich die Sandklaffmuschel versteckt, denn die Versuchung, so eine lebendige Wasserpistole selbst mal auszubuddeln, wäre ansonsten wohl zu groß. Außerdem ist die Muschel, die mehr als 20 Jahre alt und so groß, wie eine Männerhand werden kann, ziemlich bissig. Wenn man aus Versehen mit dem Finger zwischen die Schalen kommt, schnappt sie kräftig zu. »Das spürt man noch tagelang«, weiß Heino aus Erfahrung zu berichten.
Genau wie die wehrhaften Zangen der Strandkrabben. Aber im Grunde seien diese »richtige kleine Kuscheltiere«, erfahren die Kinder, die sich zunächst sträuben, eine Krabbe anzufassen. Erst als ein mutiges Mädchen sich eine auf die Hand setzen lässt, fassen die anderen sich ein Herz und tun es ihr nach. »Nur wenn ihr mit dem Finger von oben kommt, schnappen sie zu«, erklärt ihr Bio-Lehrer auf Zeit, »von dort kommen ihre Feinde, wie die Seevögel. Von unten aber hat sie keine Feinde und hält deshalb ganz still.« Gesagt und ausprobiert - und siehe da, die Tiere lassen sich streicheln und halten ganz still. Krabben übrigens seien die Polizei im Watt, hören die Schüler. Sie fressen alles, was sie vor die Scheren bekommen, auch Aas, und sorgen so für Ordnung und Sauberkeit.
Kämpfer für die Umwelt
Langsam wird es Zeit, zum Ufer zurückzugehen, bald ist die Ebbe vorbei und das Meer kommt zurück und überflutet das spannende »Klassenzimmer«. Nur das Experiment mit den Herzmuscheln muss noch ausgewertet werden. Während das Wasser in dem einen Glas noch genauso trüb ist wie vor einer Stunde, ist es in dem mit den Muscheln völlig klar. So sauber, dass man es trinken kann. Zum Beweis nimmt Heino einen Schluck, einige tun es ihm nach.
Mit diesem einfachen Experiment überzeugte Heino Behring vor einigen Jahren die niedersächsische Landesregierung, endlich ein Gesetz zu verabschieden, dass die Herzmuschelfischerei im Juister Watt verbietet. Denn der Bestand war so extrem zurückgegangen, dass das Gleichgewicht bereits empfindlich gestört war.
Wenn ihn manche auch als »Naturspinner« bezeichnen, Heino wird nicht müde, vor den Auswirkungen mangelnden Umweltbewusstseins zu warnen und andere für den Erhalt der einzigartigen Naturlandschaft zu begeistern - mit Wattführungen genauso wie mit Vorträgen vor Wissenschaftlern, Politikern und Schülern oder durch medienwirksame Auftritte im Fernsehen.
Wie schon sein Vater Alfred, der ihm die Liebe zum Wattenmeer vermittelt hat. Er war 1950 der erste Wattführer auf Juist, Heino und seine Schwester zogen fast täglich mit ihm hinaus. »Mein Sohn wird vielleicht auch einmal Wattführer«, erzählte der stolze Vater immer wieder seinen Gästen. 1961, da war Heino gerade mal 13, erfüllte sich der Wunsch des Vaters schneller, als ihm lieb war. Alfred erkrankte schwer, und da die Familie von den Führungen lebte, zog Heino jeden Nachmittag nach der Schule mit Urlaubern ins Watt. Zwei Monate lang, bis der Vater wieder gesund war. Da versprach ihm der Sohn, später ganz in seine Fußstapfen zu treten. Zunächst aber lernte er Bäcker, Konditor und Koch, eröffnete einen Eisladen, bis heute eine gefragte Adresse bei Urlaubern wie Insulanern.
Als Alfred 1980 starb, löste Heino sein Versprechen ein. Inzwischen engagiert sich mit Sohn Ino die dritte Behring-Generation für das Wattenmeer und sieht den Lebenssinn darin, andere für den Umweltschutz zu sensibilisieren. Nicht selten ziehen Heino und der 31-jährige Ino gemeinsam los, jeder eine Gruppe Interessierter im »Schlepptau«. Auch Heinos beiden jüngsten Kinder, Katharina (9) und Simon (7), wissen bereits, wie man mit Muscheln spricht und mit Krabben kuschelt. Ob sie später auch einmal in die Fußstapfen von Vater und Bruder treten? Heino zuckt die Schultern. Und, etwas resigniert: »Manchmal befürchte ich, dass das Wattenmeer durch die weiter zunehmende Umweltverschmutzung dann so geschädigt sein wird, dass sich die Frage für sie leider gar nicht mehr stellt.«
Übrigens: Auch Rollifahrer müssen auf Juist nicht auf eine Wattwanderung verzichten. Gemeinsam mit einer Kieler Firma entwickelte Heino ein solarbetriebenes Wattmobil, dass es Gehbehinderten ermöglicht, an den spannenden Exkursionen teilzunehmen.
Infos und Wattführungen: Heino Behring, Rosengang 1-2, 26571 Juist, Tel.: (04935) 911 40 oder (0171) 522 58 50, E-Mail: heino.juist@t-online.de, www.heino-juist.de
Vom 15. 10. bis 15.3. bietet Heino 7- bzw. 3-Tage-Pauschalurlaub in eigenen Ferienwohnungen mit Watt- und Inselwanderung an.
Infos zu Juist: Kurverwaltung Juist, Postfach 1464, 26560 Juist, Tel.: (04935) 809-106, Fax: -145, E-Mail: info@juist.de, www.juist.de
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