Als Zweijähriger im Konzentrationslager

Die Gedenkstätten Ravensbrück und Sachsenhausen feierten am Sonntag den 76. Jahrestag der Befreiung

Als zweijähriger Junge wurde der dänische Jude Ib Katznelson mit seiner Mutter ins KZ Ravensbrück verschleppt. Die Gestapo hatte die Familie verhaftet, als sie versuchte, aus ihrer von den Hitlerfaschisten besetzten Heimat nach Schweden zu fliehen. Von Ravensbrück sollte Katznelson ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert werden. Doch zwei Tschechinnen schmuggelten ihn aus dem Krankenrevier heraus und brachten ihn in die Baracke seiner Mutter. »Ihnen verdanke ich mein Leben«, sagt Katznelson, der inzwischen 80 Jahre alt ist und in Kopenhagen lebt, wo er auch geboren wurde.

Sein Schicksal schilderte der Überlebende in einer Videobotschaft, die am Sonntag bei der Feier zum 76. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Ravensbrück im Internet übertragen wurde. Wegen der Corona-Pandemie konnten nur wenige ausgewählte Menschen vor Ort sein. Katznelson sagte: »Auch Rassismus und Intoleranz ist ein Virus, der sich rasch verbreitet.« Die beste Schutzimpfung dagegen sei Aufklärung über den Holocaust.

Auch Stella Nikiforova kam zu Wort. Sie erlebte als Vierjährige, wie die Häftlinge von der SS auf den Todesmarsch getrieben wurden. Katznelson sprach Englisch, Nikoforova Russisch. Es gab zwar gelegentlich technische Probleme mit dem Ton, aber keine grundsätzlichen Verständigungsprobleme. Denn die Zuschauer der Gedenkveranstaltung konnten auswählen, in welcher Sprache sie die simultane Übersetzung der Liveübertragung aus der Mahn- und Gedenkstätte hören wollten: auf Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Polnisch oder Italienisch. Gedenkstättenleiterin Andrea Genest erklärte, als im Herbst klar geworden sei, dass die Überlebenden nicht eingeladen werden können, habe man eine Möglichkeit gesucht, »gemeinsam und zur gewohnten Stunde derjenigen zu gedenken, die das Lager nicht überlebten«.

Die Liveübertragung bot immerhin die Chance, dass auch diejenigen das Geschehen mitverfolgen konnten, denen die Anreise zu beschwerlich gewesen wäre. Das Format könnte auch für diejenigen geeignet sein, für die eine Rückkehr an den Ort ihrer Leiden bis heute eine zu schmerzliche Erfahrung ist und die deshalb niemals in die Gedenkstätte gekommen sind, sagte Brandenburgs Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Die aus dem Westen stammende Politikerin erinnerte, dass Überlebende nach dem Ende der DDR eine Vernachlässigung der KZ-Gedenkstätten und des Erinnerns an die Opfer fürchteten. »Das Gegenteil ist eingetreten«, beteuerte Nonnemacher. Tatsächlich ist das Areal der Gedenkstätte Ravensbrück nach der Wende um ein Gelände erweitert worden, das zuvor sowjetische Kaserne war. Allerdings werden rassistische Ansichten heute wieder unverblümt geäußert, was viele Überlebende so nicht für möglich gehalten hätten.

Ihr Unbehagen, als sie gebeten wurde, beim Gedenken zu sprechen, schilderte die 1981 in Ostberlin geborene Publizistin Mirna Funk, die bis vor drei Wochen noch nie in Ravensbrück war und die Gedenkstätte dann erstmals zur Vorbereitung auf ihre Rede besuchte. Sie ist Urenkelin des Schriftstellers Stephan Hermlin. Der Vater Jude, die Mutter nicht, »halb Opfer, halb Täter«, formulierte Funk. Eine Umfrage habe ergeben, dass 80 Prozent der Deutschen denken, ihre Vorfahren hätten in der Nazizeit »selbstverständlich« nichts von der Verfolgung der Juden gewusst. Für Funk ist das unglaubwürdig.

Auch die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen feierte am Sonntag online die Befreiung des Lagers vor 76 Jahren.

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